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Symbolae Osloenses
Norwegian Journal of Greek and Latin Studies
Volume 91, 2017 - Issue 1
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Zum sogenannten Nominativus Absolutus im Lateinischen: Neue Auslegungen zu einem alten Problem

 

Abstract

Der vorliegende Aufsatz ist dem Gebrauch des sog. Nominativus Absolutus im Latein gewidmet. Es handelt sich dabei um ein partizipiales Syntagma im Nominativ, dessen grammatikalisches Subjekt anders als das des übergeordneten Satzes ist (z.B. Fulg. myth. 3,8 quam arborem pater gladio percutiens, Adon exinde natus est). Obwohl diese Konstruktion in zahlreichen, v.a. das Substandard- und Spätlatein betreffenden Studien Erwähnung fand, ist sie seit fast hundert Jahren keiner analytischen Besprechung unterzogen worden. Unsere Untersuchung verfolgt zwei mit einander eng verknüpfte Ziele: (a) zum einen sollen die kennzeichnenden Merkmale des Syntagmas besprochen werden, unter besonderer Berücksichtigung von pragmatischen, semantischen und syntaktischen Aspekten; (b) zum anderen soll dessen Evolution in Diachronie dargelegt werden, wobei eine allmählich ausgeprägtere Unabhängigkeit gegenüber der übergeordneten Prädikation nachgewiesen werden soll.

Disclosure Statement

No potential conflict of interest was reported by the author.

Notes

1 Das Vorhandensein eines Partizips stellt folglich für unseren Ansatz eine notwendige Bedingung dar, um von NA sprechen zu dürfen. Die zahlreichen Fälle von „isoliert-emphatischem“ Nominativ (manchmal auch nominativus pendens genannt), die allein aus einem Nominalsatz bestehen, wie etwa. Cato agr. 34,3 ager rubricosus … , ibi lupinum … fiet, Ps. Apul. herb. 4,1 herba simfoniaca, sucus eius … tollit (dazu Hofmann und Szantyr [Citation1965, 29] mit Literatur), sind daher nicht aufgenommen worden.

2 Dieser Aspekt soll ausführlicher in Sektion 3.4. behandelt werden.

3 Es ist nahezu unmöglich, alle Studien zu nennen, die den NA erwähnen oder besprechen. Es sei hier noch hingewiesen auf diejenigen von Cavallin (Citation1934, 80ff.) zu Caesarius Arelatensis, Adams (Citation1976, 64f.) zum Anonymus Valesianus, Pitkäranta (Citation1978, 84f.) zu Victor Vitensis, Calboli (Citation1983, 69) zum merowingischen Latein, Diercks (Citation1980) zu Lucifer (obwohl er nicht von NA, sondern von „syntaktische Kontamination“ bzw. Anakoluth spricht), Tarriño Ruiz (Citation2000, 176ff.) und Gayno (Citation2015, 32ff.; 172ff.) zu Gregorius und Adams (Citation2016, 593f.) zu den Annales regni Francorum. Eine sehr umfangreiche (aber auch unkritische) Liste der Belege bei Venantius Fortunatus findet sich in Dagianti (Citation1921, 25ff.).

4 Vgl. auch Pfister (Citation1912, 207), Baehrens (Citation1913, 266ff), Hofmann und Szantyr (Citation1965, 143f.), Elkund (Citation1970, 168ff.), Stotz (Citation1998, 238f.) und Gayno (Citation2016) mit weiteren bibliographischen Angaben.

5 Siehe z.B. S. 77 „Er [d.h. der NA] geht […] auf gewisse psychologische Voraussetzungen innerhalb der Sprache selbst zurück“. Für eine (allerdings ziemlich harte) Kritik an Horns Methodologie vgl. die Besprechung von Hofmann (Citation1940).

6 Für einen allgemeinen Überblick sie insbes. Müller-Lancé (Citation1994, 46f.) und Gayno (Citation2015, 32ff.). Zu Bauers Ansatz siehe unten 3.2. Eine ziemlich eigenartige Erklärung wird von Baehrens (Citation1913, 266) vorgeschlagen. Er behauptet, dass der NA eine umgangssprachliche Konstruktion ist, die bereits in der klassischen Zeit bestand und auf Ellipse von esse zurückzuführen ist, nämlich nach der Entsprechung amans : amans sum = amatus : amatus sum (p. 269). Das Hauptproblem dabei ist, dass, während mit dem Partizip Perfekt der „elliptische“‘ Gebrauch (also, amatus statt amatus sum) in der Klassik mehrmals zu finden ist, die mehr oder weniger zuverlässigen Belege mit dem Partizip Präsens äußerst selten sind (siehe auch unten).

7 Diese Erklärung setzt in der Regel einen „Bruch“ der ursprünglich geplanten syntaktischen Struktur. Vgl. Horn (Citation1918, 54), der von „Interessenverschiebung“ spricht: „Der Schriftsteller fängt mit einer Partizipialkonstruktion an, bald aber fesselt eine neue Vorstellung in so hohem Grad sein Interesse und seine Aufmerksamkeit, dass sie ganz einfach den ursprünglich beabsichtigten syntaktischen Zusammenhang sprengt […]. Der Gegensatz kann bisweilen so stark sein, dass es sich fast um wirkliche Sprünge in der Darstellung handelt“. Diese Idee wurde später von Škerlj (Citation1926, 19), Havers (Citation1928, 122f.), Biese (Citation1928, 75) und anderen wiederaufgenommen. Löfstedt (Citation1911, 158) bemerkt, dass „nicht selten Fälle [begegnen], wo es zweifelhaft sein kann, ob ein Anakoluth oder ein Nom. abs. zu statuieren ist“, aber er erklärt nicht, wo genau der Unterschied zwischen den zwei Typen liegt. Dieselbe Aporie wird – allerdings auf eine deutlichere Art – auch von Adams (Citation2016, 594) ausgedrückt. Hofmann und Szantyr (Citation1965, 143) merken, dass, obwohl „die Einzelheiten der Entwicklung […] noch wenig geklärt“ sind, „die Grundlage des Nominativus absolutus […] anakoluthischer Satzbau ist“, und heben dabei den Belang mechanischer Faktoren bei seiner Ausdehnung hervor („bei der Ausbreitung des Nom. abs. [ist] […] mehr mit mechanischen als psychischen Motiven im Einzelfall zu rechnen”), ohne dennoch zu erläutern, was genau darunter zu verstehen sei.

8 Für Gregorius van Tours und Venantius Fortunatus, die, wie gezeigt werden soll, den mit Abstand häufigsten Gebrauch des Syntagmas machen, haben wir sowohl spezifische sprachliche Studien – insbes. Bonnet (Citation1890, 565ff.), Tarriño Ruiz (Citation2000, 176ff.), Gayno (Citation2015, 32ff.; 172ff.) und Dagianti (Citation1921, 25ff.) – als auch die „Indices Grammaticae“ der Ausgaben von Krusch-Levison (Gregorius, Historia Francorum), Krusch (Gregorius, Libri Miraculorum), Leo (Venantius, poetische Werke) und Krusch (Venantius, Prosawerke) verwendet.

9 Dass die Untersuchung auf handschriftlich überlieferte Texte beschränkt ist, liegt daran, dass in anderen Dokumentensorten, wie etwa Inschriften, Papyri, Fluchtafeln usw. der NA praktisch unbekannt ist. Andere Studien führen einen einzigen Beleg auf einer sehr späten Inschrift aus Rom an (CLE 358,8 CVI CONIVNX MORIENS NON FVIT ALTER AMOR, 6. Jh.), die übrigens, wie bereits von Horn erkannt (Citation1918, 67 Fn. 1) zwei Versen des Venantius Fortunatus sehr ähnelt (carm. 4,12,11; siehe unten (27)).

10 Da Gregorius die Konstruktion recht häufig verwendet, musste die Untersuchung auf die Hälfte seiner Werke beschränkt werden, nämlich die ersten fünf Bücher der Historia Francorum und die ersten zwei der Libri Miraculorum.

11 Es sei hier bemerkt, dass, obwohl jede Stelle bezüglich des Kontextes und der handschriftlichen Überlieferung ausführlich überprüft wurde, nicht ausgeschlossen werden darf, dass für einige Passagen eine andere (vielleicht sogar bessere) Lesung bzw. syntaktische Auffassung zulässig ist.

12 Einen ähnlichen Fall stellt die folgende Gregorius-Stelle dar: Franc. 2,3 p. 42, 10ff. ad te, beatissime Cirola … depraecor, ut respiciens manifestis gloriam ac uirtutem tuam, ut, oculos meos aperiens, merear lucem uidere. Tarriño Ruiz (Citation2000, 179) und Gayno (Citation2015, 175f.) nehmen an, dass aperiens auf Cirola bezogen ist und folglich ein Subjektwechsel zwischen dem ÜS (merear) und dem Partizip (aperiens) auftritt. Aber nichts verbietet zu denken, dass aperiens und merear dasselbe Subjekt teilen („sodass ich, nachdem ich meine Augen geöffnet habe, würdig sein soll, das Licht zu sehen“), genau wie im vorhergehenden Satz, wo respiciens und manifestis (hier anstatt manifestes) auf dasselbe Subjekt bezogen sind.

13 Dass der Abl. Abs. hier kein explizites Subjekt hat, stellt zwar eine Ausnahme dar aber weist seltene Parallelen auch in anderen Quelle auf. Alternativ kann man den Text von Rose übernehmen, der sich auf einer früheren Edition stützend ein -m nach exagitata hinzufügt und daraus ein Participium Coniunctum macht. Dieselbe Lösung wird von Marshall in der Teubner-Edition angewendet.

14 Siehe auch Ahlquist (Citation1909, 51) über den Nominativus und Accusativus Absolutus bei Chiron: „In mehreren Fällen ist es unmöglich abzumachen, ob ein Akkusativ oder ein Nominativ vorliege, weil die beiden Kasus der Form nach zusammenfallen“. Ähnlich Helttula (Citation1987, 89) mit Bezug auf (7): „The formal distinction nominative-accusative in neuters is of course impossible“. Dagegen haben wir (wie auch frühere Studien) die Fälle, in denen die Pluralendung -es mit einem Partizip Präsens auftrat, als Nominativi Absoluti betrachtet, weil Absolute Akkusative weit überwiegend mit einem PPP vorkommen (siehe auch unten Fn. 34). Man darf aber im Prinzip nicht ausschließen, dass einige dieser Belege vom Autor als Absolute Akkusative konzipiert wurden.

15 Siehe speziell die ausführliche Monografie von Elkund (Citation1970), wo dennoch in vielen Fällen eine passendere Lösung vorgeschlagen wird (Anakoluth, falsche Interpunktion, usw.). Dazu auch Adams (Citation1976, 60ff.), Pitkäranta (Citation1978, 78ff.), Arias Abellán (Citation1999) und Galdi (Citation2013, 275ff.). Diese Sondergruppe befasst u.a. alle Belege von linksversetzten NA, die mittels einer koordinierenden Konjunktion (autem, sed, enim, usw.) mit dem ÜS verbunden sind, z.B. Iord. Get. 240 tantas uarietates mutationesque Eurichus cernens … , Areuernam occupans ciuitatem … . huius ergo filius Ecdicius. In solchen Fällen liegt die Hypothese eines syntaktischen Anakoluths sehr nahe. Die Koordination zwischen Partizip und Verbum Finitum ist oft auch im Spätgriechisch belegt. Vgl. z.B. Haug (Citation2012, 303).

16 Dieses Problem tritt mehrfach bei Gregorius auf. In Franc. 1,32 z.B. plädieren Krusch und Levison für einen NA (quod factum admirans multitudo, populi circumstantes, … ad liberandum properant sacerdotem) aber beinahe sämtliche Handschriften tradieren populi circumstantis, das als epexegetischer Genitiv zu multitudo verstanden werden kann („die große Menge des Nachbarvolkes“), mit concordantia ad sensum zwischen multitudo und properant. Ähnlich überliefern in Franc. 1,9 (quasi, manipolus legens, suum fratrum manipoli adorarent) fast alle Codices den Akk. manipolos. Zu beiden Stellen vgl. die ausführlichen Auslegungen von Greco (Citation2005, 60ff.). Natürlich hängt dieses Problem oft unmittelbar mit (e) zusammen. In Vict. Vit. 2,5 z.B. liest man, wenn man den Text von Petschenig annimmt (sublimis nata est laetitia et gaudium cumulatum est ecclesiae dei, exultans multitudo catholica … . de ordinatione pontificis reparati: nam maximus iuuenum numerus atque adulescentularum … attestabatur), einen NA: exultans multitudo … reparati. Wenn dagegen ein Punkt nach dei und ein Komma nach reparati gesetzt werden, ergibt sich ein finiter Gebrauch des Partizips exultans. Letztere Lösung ist zu bevorzugen, weil sie der gewöhnlichen Wortordnung bei Victor entspricht (vgl. Pitkäranta Citation1978, 80). Verschiedene solche Fälle erscheinen im Text des Anonymus Valesianus. Dazu Adams (Citation1976, 60ff.).

17 Diese Stelle wird von Horn (Citation1918, 60) ohne Besprechung der handschriftlichen Varianten mit einbezogen.

18 Dieser Typus kommt sehr selten vor. Einige Beispiele sind von Horn (Citation1918, 59ff.) gesammelt worden. Siehe auch unten (24).

19 In der unteren Liste sind vier Texte nicht einbezogen, aus denen frühere Studien einen einzigen Beleg des NA erwähnen, weil alle Beispiele sehr unsicher sind: Lex XII tab. 1,7,7 com peroranto ambo praesentes (die zwei Prädikate, peroranto und praesentes, teilen dasselbe Subjekt; vgl. Biese [Citation1928, 81 Fn. 1]), Vitr. 8,6,14 caementum de silice frangatur … , calx quam uehementissima mortario mixta (diese Konstruktion ist sehr wahrscheinlich auf elliptische Syntax zurückzuführen und wird deshalb auch von Hofmann und Szantyr ausgeschlossen), Cypr. epist. 27,4, siehe oben (5), Pass. coron. 9 haec … inter se altercantes, multi … eos crediderunt (der überlieferte Text ist zweifelhaft: andere Handschriften lesen illis altercantibus, oder cum inter se altercantes dicerent oder noch inter se altercantibus eis). Außerdem sind die mutmaßlichen Belege bei Curtius Rufus, die Baehrens und Horn anführen, ausgeschlossen worden, weil in allen Fällen eine bessere paläographische oder syntaktische Lösung vorhanden war (vgl. dazu die ausführliche Erörterung bei Bacherler [Citation1922/23]). Aus denselben Gründen sind die von Liechtenhan (Citation1928, 39) zitierten Anthimus-Stellen nicht berücksichtigt worden (z.B. kann 54 coriandro modicum ad hora missum uel menta durch Vermengung zwischen absoluten Akkusativ und Ablativ erklärt werden).

20 Dazu Rose (Citation1967, XIIIff.).

21 Vgl. Rose (Citation1967, 9): „Ubique apparet eum [sc. auctorem] Graeca ante oculos habuisse et male intellexisse“.

22 Aus diesen Gründen sollen in der unteren Besprechung die ersten sechs Belege des NA (Calp. Piso, Hyg., Iust.) zwar einbezogen aber getrennt dargestellt werden.

23 Die Analyse des Augustinus ist auf die Sermones beschränkt, weil Mohrmann (Citation1932) und Mechlinsky (Citation2004, 128) nur aus diesem Werk Beispiele anführen.

24 Ähnliches gilt für den Accusativus Absolutus. Vgl. Müller-Lancé (Citation1994, 48). Laut Hofmann und Szantyr (Citation1965, 144) erfährt der NA im Mittellatein sogar „größere Lebenskraft als der Acc. abs.“. Vgl. auch Stotz (Citation1998, 238). Die deutliche Überlegenheit des NA im 6. Jh. hängt auch mit der allgemeinen Ausdehnung des Partizips Präsens in derselben Zeit. Vgl. dazu Galdi (Citation2016, insbes. 653; 659ff.).

25 Es sei hier nochmals angemerkt, dass die gesamte Anzahl der Belege bei Gregorius eigentlich viel höher ist, da wir nur die erste Hälfte seiner Werke berücksichtigt haben.

26 Die Vorliebe merowingischer Schriftsteller für den NA wurde bereits von Calboli (Citation1992, 54) hervorgehoben: „Das ist eine mittellateinische und spezifisch merowingische Konstruktion“.

27 Wie bekannt, stellt Vergilius eine sehr problematische Figur dar, über deren Herkunftsland man lange diskutiert hat. Für einen Überblick über die verschiedenen Theorien, siehe neuerdings Mancini (Citation2014, 939f.).

28 Vergilius ist nicht der einzige, der den NA erwähnt. Bereits im 4. Jh. bezieht sich Augustinus in seinem Kommentar zum Heptateuch dreimal auf die Konstruktion und deren grammatikalische Unkorrektheit, ohne sie dennoch explizit zu nennen oder mit einem Ablativus Absolutus zu vergleichen. Bei allen Passagen liegt die syntaktische Abweichung bereits in der griechischen Quelle vor. So merkt Augustinus in Bezug auf Leviticus 8,31 (quomodo praeceptum est mihi dicens: «Aaron et filii eius edent eam»; gr. ὃν τρόπον συντέτακταί μοι λέγων), dass einige Übersetzer, sich vom griechischen Muster entfernend, die Konstruktion verändert haben, weil sie im Verhältnis zum üblichen Sprachgebrauch einen Solözismus bildet (loc. hept. 3,13 hanc locutionem quidam transferre nolentes dixerunt: “quomodo praecepit mihi dicens”, quia hoc uidetur consequens, ille autem in nostrae locutionis consuetudine soloecismus est). Analoge Beobachtungen macht er in Bezug auf Genesis 22,20 (loc. hept. 1,73 “et nuntiatum est Abrahae, dicentes”, cum consuetudo loquendi habeat: “nuntiauerunt Abrahae dicentes”, aut: “nuntiatum est a dicentibus”; gr. ἀνηγγέλη τῷ Αβρααμ λέγοντες) und Iudices 16,2 (loc. hept. 7,56 “et nuntiatum est Gazaeis dicentes”; non ait: “nuntiaverunt dicentes”, aut: “nuntiatum est a dicentibus”; gr. καὶ ἀπηγγέλη τοῖς Γαζαίοις λέγοντες). Offensichtlich war aber das Syntagma in seinen Augen nicht inakzeptabel, weil er es selbst in verschiedenen Passagen seiner Sermones verwendet (vgl. Tabelle 2).

29 Die Erklärung, die Vergilius dazu gibt ist sehr rätselhaft. Vor dem Zitat aus Bregandus Eugenicus schreibt er nämlich: (p. 81, 45ff.): pro quo casu (sc. ablatiuo) … nominatiuus in lectione sepe ponitur ob hanc puto necessitatem, quia in eadem dictione alius nominatiuus casus uerbo principali, quod primum loquitur, personaliter adiungatur; sicut in uersu etc. („An Stelle dieses Kasus (nl. des Ablativs) wird im Text häufig der Nominativ gesetzt, und zwar m.E. aus dieser Not, weil im selben Kontext ein zweiter Nominativ dem Hauptwort, das als erstes ausgesprochen wird, persönlich zugefügt wird; wie im Vers usw.“). Diese Deutung lässt an eine Art morphosyntaktische Angleichung denken, wodurch der Kasus der absoluten Konstruktion an jener der voranstehenden Hauptprädikation angepasst wird. Praktisch ließe sich eine solche Erläuterung kaum anwenden, auch weil die große Mehrheit der NA linksversetzt ist und somit vor dem uerbum principale steht.

30 Das Überwiegen des Partizips Präsens im NA wurde schon immer beobachtet aber bisher nie durch statistische Angaben nachgewiesen. So schrieb als erster Löfstedt (Citation1911, 159): „Was den absoluten Nom. betrifft, so scheint es nicht beachtet zu sein, dass er besonders bei Präsenspartizipia beliebt ist“. Vgl. auch Biese (Citation1928, 81), Müller-Lancé (Citation1994, 47) und Bauer (Citation2000, 313).

31 Die Züge [+ Kontrolle] und [+ Belebtheit] lassen sich auch in drei weiteren – unter den PPP gruppierten – Fällen erkennen, in denen die Partizipien adsueti („gewöhnt“, Ennod. opusc. 1, 86), adfectatus („strebend“, „begehrend“, Fulg. myth. 2, 14) und munitus („geschützt“ in Greg. Tur. Franc. 2, 21) betroffen sind.

32 Sei hier bemerkt, dass aus den oben erklärten Gründen (vgl. (a)–(f)) nur sieben der vielen in anderen Studien zitierten Belege behalten wurden, wovon fünf in Chiron (11, 94, 146, 644, 737) und zwei an einer Stelle des Marcellus Empiricus (16,71).

33 Siehe insbes. den grammatikalischen Index von Liechtenhan (Citation1928) zu Anthimus und von Niedermann (Citation1995) zu Marcellus sowie die Studien von Ahlquist (Citation1909) und Grevander (Citation1926) zu Chiron. Sehr hilfreich ist auch Helttula's Abschnitt über „Participles in scientific and technical Latin“ (Citation1987, 78ff.) und, in geringerem Maße, der Artikel von García Arribas über absolute Partizipialkonstruktionen in Chiron und Vegetius (Citation1977).

34 Helttula (Citation1987, 112f.) z.B. beobachtet, dass der Gebrauch des PPP (und folglich die Patiensrolle des grammatikalischen Subjekts) eine von den „essential characteristics“ des AcA ist, und zwar unabhängig vom Quellentyp. Ähnlich bemerkt Bauer (Citation2000, 313): „Accusative absolutes were predominantly perfective whereas nominative absolutes primarily contained present participles“. Diese Feststellung findet sich bereits bei Hofmann und Szantyr (Citation1965, 144).

35 (1911, 159): „Ohne Zweifel hängt dies [nämlich die Vorliebe für das Part. Präsens im NA] damit zusammen, dass der Nom. abs. […] eine Vorstufe zu dem Gebrauch der Partizipia als selbständige erzählende Verbformen bildet, denn zu diesem Gebrauch war wohl das Präsenspartizip kraft seines aktivischen Charakters von Anfang an am besten geeignet“.

36 Vgl. Bauer (Citation2000, 305ff., insbes. 325f.).

37 Diese Bemerkung findet sich schon bei Helttula (Citation1987, 112f.).

38 Vgl. z.B. Bauer (Citation2000, 314): „The noun in present absolutes refers to the underlying subject; in accordance with the grammatical function of this element, the structures became nominative absolutes. The noun in perfective absolutes, on the other hand, refers to the underlying object of the action, and gave way to accusative absolutes“. Zur Agens- bzw. Patiensfunktion des grammatikalischen Subjekts innerhalb absoluter Konstruktionen mit Part. Präsens bzw. Perfekt, sie auch Rovai (Citation2014, insbes. 133ff.), der speziell auf die vermengten Typen eingeht. Es sei noch hervorgehoben, dass der Ersatzprozess des Abl. Abs. eigentlich sehr partiell ist, weil in sämtlichen lateinischen Texten bis zum Mittelalter die Konstruktion weitaus überwiegend bleibt.

39 Zu ähnlichen Schlüssen kam auch Horn (Citation1918, 6; 11).

40 Dieser Aspekt ist neuerdings auch von Rovai (Citation2017, 95) in Bezug auf Marouzeau's Analyse hervorgehoben worden: „L’esame di tutte le attestazioni plautine e terenziane raccolte da Marouzeau […] rivela […] che […] i predicati i cui participi presenti acquisiscono una reggenza verbale […] sono sempre congiunti a un partecipante umano che, in larga maggioranza (23 casi su 27), esercita un controllo volontario sull’evento“.

41 Die Existenz einer möglichen Verbindung zwischen dem PPC und dem NA wurde bereits von Biese angenommen, aber nicht weiter gedeutet (Citation1928, 82): „Wenn man gewohnt war, in dem Part. Präs. eine zum Subj. gehörige Bestimmung zu erblicken, konnte es sehr leicht, eben weil die Verbalhandlung in diesem Partizip stark betont war, als Prädikat aufgefasst werden, wodurch es zusammen mit einem Subj. oder allein […] einen Satz bilden konnte“.

42 Hier muss man als ÜS den Text Domitianus … columnae, mit Ellipse von estis, betrachten.

43 Diese Tabelle beinhaltet nicht sämtliche NA, weil die 17 Belege als unabhängiges Rhema keine spezifische semantische Funktion aufweisen und deshalb ausgeschlossen wurden.

44 Siehe dazu Galdi (Citation2011), (Citation2013, 270ff.) und (Citation2015), mit weiterführender Literatur.

45 Nur drei sind die Belege mit finalem (2-mal), und kontrastivem Wert.

46 Der syntaktisch lose Gebrauch von dicens + direkte Rede bzw. A.c.I. ist in der Spätzeit relativ häufig anzutreffen, vornehmlich bei den Christen (siehe auch Fn. 28, mit Beispielen aus der Bibel). Hofmann und Szantyr (Citation1965, 389) meinen, dass diese Eigentümlichkeit „infolge Erstarrung“ entstanden sei und deshalb getrennt vom NA behandelt werden müsse (dazu auch Horn [Citation1918, 47ff.] und Löfstedt [Citation1956, 84f.]). Formell betrachtet sind aber die zwei Konstruktionen identisch.

47 Vgl. Dik (Citation1989, 340).

48 Die rechtversetzte Stellung solcher Belege entspricht der sog. ‘Verarbeitungstheorie’ (‘processing-theory’), laut welcher längere Adverbialsätze eher nach als vor der übergeordneten Prädikation stehen. Vgl. Diessel (Citation2005, 458), der sich seinerseits auf die Studien van Hawking stützt: „The shorter an initial adverbial clause, the shorter the recognition domain and the easier the complex sentence is to parse. Since the length of final adverbial clauses does not affect the recognition domain, there is no particular processing pressure to keep them short, and thus they tend to be longer than initial adverbial clauses“.

49 Ven. Fort. 11,1,12 cuius (sc. Christi) figuram Iesus Naue gerens populum de deserto in terram repromissionis certum est induxisse („Man weiß mit Sicherheit, dass Iesus Nave, der dessen [nämlich Christi] Vorankündigung darstellt, das Volk aus der Wüste nach dem Land der Verheißung geführt hat“).

50 Sie oben 2.(e) und Fn. 15.

51 Es sei bemerkt, dass diese Kategorien nicht vollkommen mit denen von Lambrecht übereinstimmen. Die erste Ebene, „zentral“, die eine Unterkategorie von „aktiv“ darstellt, ist nämlich nicht einbezogen in Lambrechts Skale und wurde hinzugefügt, um Referenten zu markieren, die sehr einfach zu erkennen sind. Andrerseits sind „ungebraucht“ und „brandneu“ nicht voneinander unterschieden worden, da beide sehr selten belegt sind (siehe unten).

52 Siehe insbes. die bekannte „Scale“ für die Kodierung der thematischen Zugänglichkeit, die Givon (Citation1983, 17) vorschlägt.

53 Diese ist z.B. die Meinung von Ramat (Citation1994, 264), der allerdings einen einzigen Beleg von NA bei Calpurnius Piso zitiert (siehe (13) oben). Er setzt nämlich die Konstruktion in Verbindung mit dem nominativus pendens, dessen Funktion ihm zufolge rein einführend ist: „The 'nominatiuus pendens’ gives the 'theme' for the following 'rheme', creates the frame the speaker is going to talk about. Its nature is therefore more pragmatic than syntactic, in a language dominated by agreement such as Latin, and its functions are those of foregrounding, topicalizing, and thematizing“.

54 Die zwei dominanten Charaktere wurden grafisch, mittels einer einfachen und doppelten Unterstreichung, unterschieden.

55 Siehe etwa Greg. Franc. 2,7 p. 48,18 (quod renuntiantes, ait sacerdus), 3,2 p. 98,14 ((34) unten), 4,15 p. 147,12 (de sancto … Eufronio interrogans, dixerunt), 5,19 p. 226,5 (nuntiantesque, iussit).

56 Diese Zahlen hängen direkt damit zusammen, dass AAP oft aus feststehenden, stereotypierten Ausdrücken bestehen, „quite neutral in colour” (Helttula Citation1987, 70), die manchmal reinen adverbialen Bestimmungen ähneln und in vielen Fällen unbelebte oder übernatürliche Entitäten miteinbeziehen. Ziemlich verbreitet sind beispielsweise die Syntagmen iubente Deo in Egeria, urguente + unbelebter Name bei Victor und adueniente die o.Ä. bei Gregorius, bei denen der NA niemals belegt ist.

57 Bezeichnend ist in dieser Hinsicht der Gebrauch des partizipialen Ausdrucks exiens (de intro cancellos), der bei Egeria dreimal auftritt, und zwar immer mit Bezug auf den Bischof. Obwohl die drei Kontexte sehr ähnlich sind, wird das Subjekt nur in zwei Fällen, beiden im Abl. Abs., kodiert (24,2 et post hoc exeunte episcopo de intro cancellos omnes ad manum ei accedunt; 24,11 exeunte episcopo omnes ad manum accedunt), während es das dritte Mal, im NA, weggelassen wird (24,3 et inde similiter primum facit orationem, sic benedicet fideles, et sic exiens de <intro> cancellos similiter ei ad manum acceditur).

58 Zu dieser Passage vgl. auch Biese (Citation1928, 76), der eine Vermengung zwischen aktiver und passiver Konstruktion annimmt.

59 Vgl. auch Biese (Citation1928, 76f.).

60 Dieses Beispiel ist Teil einer längeren Passage, die Gellius (7,9,1ff.) wortwörtlich aus Calpurnius Piso übernimmt (locum istum totum huc ex Pisonis annali transposuimus). Interessanterweise liefert Gellius keinen Kommentar zum unregelmäßigen Gebrauch des Partizips Präsens in (42). Der Text von Piso wird übrigens auch von Livius gebraucht, der sowohl das Partizip als auch die Hauptprädikation mit einem cum-Satz ersetzt und dadurch die Abweichung behebt: 9,46,9 ad collegam aegrum uisendi causa Flauius cum uenisset consensuque nobilium adulescentium, qui ibi adsidebant, adsurrectum ei non esset, curulem adferri sellam eo iussit.

61 In seinem Kommentar zu dieser Stelle schließt Rose eine Korruptele nicht aus („misere pendet nominativus, quod tamen nescio an e scriptoris infantia potius quam librarii socordia ortum sit“) und in (44) nimmt er eine Vermengung mit dem griechischen Muster an („Graecus ita scripserat, μετανοῆσαι ἤρξατο … ϕοβούμενος“).

62 Horn (Citation1918, 60; 65) führt zwei weitere Belege des NA aus Hyginus an, die aber sehr umstritten sind. In Hyg. 145,4 (cuius timore exagitata; vgl. (6) oben) kann nämlich das Syntagma leicht als Abl. Abs. gedeutet werden. Etwas schwieriger ist 26,3 Medea autem ab eis rogata lectas eas in tumulum fratris coniecit, quae adhuc ibi permanentes, si qua autem extra tumulum exit, debitum naturae persoluit. Rose (ad loc.) setzt, wie Horn, ein Komma nach dem Ausdruck quae … permantentes, in dem er offensichtlich einen speziellen Gebrauch des Nominativs anstatt eines partitiven Genitivs sieht (er deutet nämlich die Konstruktion als ein σχῆμα καθ’ ὅλον καὶ μέρος, das bereits in der griechischen Quelle vorläge). Dafür muss er aber autem tilgen, das sonst den Beginn eines neuen Satzes markieren würde. Man kann dennoch den überlieferten Text beibehalten, indem das Partizip als Prädikat des anaphorischen Relativsatzes aufgefasst und nach diesem ein fester Punkt gesetzt wird. Die syntaktische Anomalie ließe sich dann auf eine Vermengung zwischen Relativsatz und Partizip zurückführen (quae permanent + permanentes). Vgl. auch die Übersetzung von Waiblinger (Citation1996, 37): „Sie baten Medea um Hilfe. Diese sammelte die Schlangen und warf sie in das Grab ihres Bruders, wo sie bis heute geblieben sind. Wenn aber eine aus dem Grab herauskommt, bezahlt sie es mit dem Leben“.

63 In Bezug auf diese Stelle beobachtet Kroll (Citation1912, 352), dass hier kein NA, „sondern ein Nom. pendens (Anakoluth)“ vorliegt aber er gibt keine weitere Erläuterung dazu.

64 Dieser Aspekt wird auch von Adams (Citation2005, 93) hervorgehoben, der hier kein Anakoluth, sondern eine sog. partitive Apposition sieht: „[mit Bezug auf (42)] In this type a general or inclusive substantive (here hi contemnentes) is followed by a particularizing term in apposition to it (nemo), when ‘logic’ might have demanded that the general term were in the genitive dependent on the particular term (horum contemnentium eum assurgere ei nemo uoluit), or that the relationship between the two terms were specified in some other way“.

65 Zur Konstruktion in (44), siehe auch den Kommentar von Baños Baños (Citation2003, 67).

66 In (46) wird das Subjekt des NA nicht im ÜS sondern in einem anderen Satz wiederaufgenommen. Der cum-Satz muss nämlich als syntaktisch untergeordnet zum NA (und nicht als dessen ÜS) betrachtet werden, weil er eine ergänzende Information dazu beinhaltet.

67 Diese Stelle wird von Väänänen (Citation1987, 130) auf Ellipse von esse zurückgeführt, aber somit würde sie das einzige Beispiel dieser Erscheinung (mit esse) bei Egeria darstellen.

68 Siehe z.B. Bonnet (Citation1890, 565f. Fn. 6), Löfstedt (Citation1911, 158), Pfister (Citation1912, 206), Horn (Citation1918, 56), Škerlj (Citation1926, 19), Blaise (Citation1955, 75), Ernout und Thomas (Citation1964, 13), Serbat (Citation1975, 188), Väänänen (Citation1981, 168), Coleman (Citation1989, 365), Ramat (Citation1994, 264), Müller-Lancé (Citation1994, 30), (Citation1995, 415), Bauer (Citation2000, 315).

69 Der NA benedicens nos tritt bei Egeria ein drittes Mal auf, auch hier in Bezug auf den Bischof: 19,16 stans episcopus fecit orationem et legit nobis ibi ipsas epistolas et denuo benedicens nos facta est iterato oratio. In diesem Fall stellt das Subjekt des NA (episcopus) ein soz. „mit-Agens“ des ÜS dar, denn das Gebet wird von allen Anwesenden ausgesprochen, einschließlich des Bischof.

70 Auch bei den anderen untersuchten Texten aus dem 4. Jh. erscheint nahezu regelmäßig ein Bund zwischen NA und ÜS. So finden sich bei Priscillianus nur zwei Beispiele (beide innerhalb desselben Satzes), die keinen Nexus aufweisen: tract. 4,80 hii sunt dies quos Iesus Naue similiter in ieiuniis agens, terram promissionis ingressus … plenus in omnes crepidines Iordanis siccum populo iter praebuit. Dies ist dennoch ein sehr besonderer Fall, weil er ausschlaggebend durch den vorhergehenden und nachfolgenden Text gefördert ist, in dem 2-mal der erstarrte Ausdruck hii sunt dies, quos + Nominativ + PPC auftritt ( hii sunt enim dies quos Moyses … ieiunans … diuini sermonis meruit eloquium; hii sunt dies quos adueniens in carnem deus … constitutus in eremo, ieiunans diebus et noctibus uicit). Zwei weitere Ausnahmen kommen in Augustinus’ Sermones vor: 16,4 haec mihi auferens, ista opera facturus non sum, 28,5 illi enim uidentes huiusmodi honorem praeberi praecipitatis, inflammantur alii ad praecipitium. Allerdings stellt die erste Passage nur eine partielle Ausnahme dar, denn das Hauptsubjekt wird durch mihi im NA vorweggenommen, während die zweite inhaltlich nicht eindeutig ist: Shaw's Übersetzung zufolge (Citation2011, 750) beziehen sich nämlich illi und alii auf dieselbe Gruppe, in welchem Fall wir hier eine Art Inklusion hätten: „When they see honors of this kind offered to the jumpers, then they too burn with the desire to throw themselves off great praecipes“.

71 „Da aber die Bischöfe nach der erwähnten Stadt kamen und die Bewegung des lärmenden Volkes nicht beherrschen konnten, wollten sie ihn in der Kirche verbergen“ (von Giesebrecht Citation1878, 148). Diese besondere Konstruktion kommt in den analysierten Werkteilen des Gregorius 26-mal vor.

72 Für weitere Fälle von Verbindung von Abl. Abs. und NA, mit oder ohne Koordination, vgl. Bauer (Citation2000, 318f.).

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