‘ich habe mich wohl gehütet, alle patronen auf einmal zu verschießen’. ernst zermelo in göttingen

Abstract

Zermelos Zeit in Göttingen (1897–1910) kann als wissenschaftlich fruchtbarste Periode in seiner Karriere angesehen werden. Gleichwohl stehen bisher Untersuchungen aus. die eine Einbettung von Zermelos Werk in den biographischen und sozialen Kontext ermöglichen Die vorliegende Studie will diese Lücke unter Konzentration auf zwei Gegenstandsbereiche teileweise ausfüllen: (1) den historischen Entstehungskontext von Zermelos ersten Arbeiten über die Grundlagen der Mengenlehre; (2) die Vorgeschichte und näheren Umstände des 1907 an Zermelo verliehenen Lehrauftrages für mathematische Logik und verwandte Gegenstände. mit dem ein erster Schritt zur Institutionalisierung dieses Faches als mathematischer Teildisziplin gemacht wurde. Beides wird in enger Verbindung zur ersten Phase des Hilbertschen Programms zur Grundlegung der Mathematik gesehen. Es wird aber auch gezeigt, daß für die Erteilung des Lehrauftrages neben diesen systematischen und forschungspolitischen Motiven auch persönliche und institutspolitische Rücksichten ausschlaggebend waren. Im Anhang werden Teile eines Briefwechsels zwischen Ernst Zermelo und dem Göttinger Philosophen Leonard Nelson ediert sowie die Anträge der Direktoren des Göttinger mathematisch-physikalischen Seminars auf Erteilung des Lehrauftrags und auf Ernennung Zermelos zum außerordentlichen Professor.

Zermelo's Göttingen period (1897–1910) can be regarded as the most fruitful period in his scientific career. Nevertheless, up till now there have been no investigations which enable us to embed his work in its biographical and social contexts. This study tries to partially fill the gap, concentrating on two major themes: (I) the historical context of the development of Zermelo's early work on the foundations of set theory; (2) the prehistory and particulars of his lectureship for mathematical logic and related topics, this lectureship, which he was awarded in 1907, being the first step taken in Germany towards the establishment of this subject as a separate mathematical discipline. Both will be seen in close connection with the first phase of Hilbert's programme of founding mathematics. It is shown, however, that this lectureship was not only created to further the aims of Hilbert's research programme but that personal and institutional motives also played a role. In the appendices, parts of a correspondence between Ernst Zermelo and the Göttingen Philosopher Leonard Nelson are edited, as well as the applications of the directors of the Göttingen Mathematisch-physikalisches Seminar for awarding the lectureship to Zermelo in 1907, and for appointing Zermelo to an extraordinary professorship in 1910.