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Paedagogica Historica
International Journal of the History of Education
Volume 40, 2004 - Issue 5-6
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Schulreform, Pädagogik und Psychologie: Zur Geschichte des Wiener Psychologischen Instituts

Pages 705-717 | Published online: 06 Aug 2006
 

Abstract

The founding of the Vienna Psychological Institute in 1922 seemed to offer great opportunities for developing a disciplinary field in empirical pedagogy. Organizationally, the new institute was closely related to the Vienna Pedagogical Institute, which was the central teachers’ training college in Red Vienna and therefore the institutional centre of the socialdemocratic educational reforms. Besides their lectures at the university, Karl and Charlotte Bühler were lecturing psychology for teachers at the Pedagogical Institute. Despite their initial programmatic promise to build up an international centre of pedagogical psychology in Vienna, they and their co‐workers largely refrained from applied research in pedagogical fields during the following years. In view of the good occasions for cooperation it is surprising that contact between the research interests of the Bühler‐School and the work of the educational reformers was rare. The most important person in this context was Karl Reininger who dedicated his own social‐psychological research to the problems of group‐forming in school classes. Shortly after her arrival in Vienna, Charlotte Bühler conducted research on the reading preferences of Viennese school pupils. Getting money from the Rockefeller Foundation, she turned away from applied research and contributed substantially to elaborating a biological theory of mental development.

Notes

Vgl. dazu die ausführliche Darstellung der Geschichte des Wiener Psychologischen Instituts in Gerhard Benetka, Zur Geschichte der Institutionalisierung der Psychologie in Österreich. Die Errichtung des Wiener Psychologischen Instituts (Wien, Geyer‐Edition, 1990); idem., Psychologie in Wien. Sozial‐ und Theoriegeschichte des Wiener Psychologischen Instituts 1922–1938 (Wien, WUV‐Universitätsverlag, 1995).

Eine verlässliche biografische Studie über Leben und Werk von Karl Bühler (1879–1963) steht immer noch aus. Die älteren Arbeiten von Gustav Lebzeltern, Karl Bühler – Leben und Werk”, in Karl Bühler, Die Uhren der Lebewesen und Fragmente aus dem Nachlass (Wien, Böhlau, 1969), S. 9–70 und Thomas A. Sebeok, “Karl Bühler”, in Martin Krampen et al. (Hrsg.), Die Welt als Zeichen. Klassiker der modernen Semiotik (Berlin, Severin und Sieder, 1981), S. 205–232 sind äusserst fehlerhaft. Man darf gespannt sein, ob im Rahmen der von Achim Eschbach besorgten Ausgabe der Bühler‐Werke dieser Mangel endlich beseitigt wird. Zur Einführung in Bühlers Werk immer noch sehr brauchbar sind die von Achim Eschbach herausgegebenen Bühler‐Studien, 2 Bde. (Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1984). Bühler hatte in Freiburg in Medizin und in Strassburg in Philosophie promoviert, ehe er sich dem späterhin als “Würzburger Schule” bekannten Kreis um Oswald Külpe anschloss. 1909 übersiedelte er als Assistent Külpes an die Universität Bonn, 1913 folgte er in derselben Funktion Külpe an die Universität München. 1918 wurde Bühler als ordentlicher Professor an die TH Dresden berufen.

Zur Biografie Charlotte Bühlers vgl. ihre Selbstdarstellung, “Selbstdarstellung”, in Ludwig J. Pongratz, Werner Traxel & Ernst G. Wehner (Hrsg.), Psychologie in Selbstdarstellungen (Bern, Huber, 1972), S. 9–42 und Gerhard Benetka, “Charlotte Bühler”, in Brigitta Keintzel & Ilse Korotin (Hrsg.), Wissenschafterinnen in und aus Österreich. Leben, Werk, Wirkung (Wien, Böhlau, 2002), S. 97–100.

Vgl. dazu ausführlich Benetka, “Zur Geschichte der Institutionalisierung der Psychologie”.

Karl Bühler, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. I. Über Gedanken. Archiv für die gesamte Psychologie, 9 (1907), S. 297–365; idem, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. II. Über Gedankenzusammenhänge. Archiv für die gesamte Psychologie, 12 (1908), S. 1–23; idem, Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. III. Über Gedankenerinnerungen. Archiv für die gesamte Psychologie, 12 (1908), S. 24–92; idem, “Antwort auf die von W. Wundt erhobenen Einwände gegen die Methode der Selbstbeobachtung an experimentell erzeugten Erlebnissen”, Archiv für die gesamte Psychologie, 12 (1908), S. 93–122.

Karl Bühler, Die geistige Entwicklung des Kindes (Jena, G. Fischer, 1918); idem, Abriss der geistigen Entwicklung des Kindes (Leipzig, Quelle & Meyer, 1919).

Wissenschaftlich relevant ist vor allem die streng biologische Orientierung, in der dieses Buch geschrieben ist.

Die “Versuchsklassenlehrerzentrale” bildete den organisatorischen Zusammenschluss jener Wiener Pflichtschullehrer, die sich zur Durchführung pädagogischer (vor allem aber didaktischer) Experimente in den von ihnen betreuten Schulklassen bereit erklärt hatten. Solche “Versuchsschulklassen” wurden eingerichtet, um die von den Wiener Schulreformern postulierte “Pädagogik vom Kinde aus” praktisch zu erproben und aus den gewonnenen Erfahrungen theoretisch weiter zu entwickeln.

Erst 1934 wurden vom Bund im Gebäude Liebiggasse 5 gleich hinter dem Universitätshauptgebäude neue Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Das gesamte Institutsinventar blieb aber weiterhin im Besitz der Gemeinde Wien. Daran änderte sich auch nach der Entlassung Karl Bühlers infolge des so genannten Anschlusses an das Deutsche Reich nichts. Erst nach 1945 ging das Institut – das Institutsgebäude war in den letzten Kriegswochen durch den Treffer einer Fliegebombe nahezu völlig zerstört worden – in den Besitzstand der Universitätsverwaltung über. Zur Geschichte des Wiener Psychologischen Instituts im Nationalsozialismus vgl. Gerhard Benetka, “ ‘Dienstbare Psychologie’: Besetzungspolitik, Arbeitsschwerpunkte und Studienbedingungen in der ‘Ostmark’ ”, Psychologie & Gesellschaftskritik, 16/61 (1992), S. 43–81; idem, “ ‘Im Gefolge der Katastrophe …’ Psychologie im Nationalsozialismus”, in Paul Mecheril & Thomas Teo (Hrsg.), Psychologie und Rassismus (Reinbek, Rowohlt, 1997), S. 42–72; Günther Dietrich, Psychologie an der Universität Wien 1938–1945. Diplomarbeit Universität Wien (1992) und Achim Eschbach & Gabi Willenberg, “Karl Bühler”, in Friedrich Stadler (Hrsg.), Vertriebene Vernunft II – Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft (Wien, Jugend u. Volk, 1988), S. 297–305.

Vgl. dazu ausführlich Kurt Danziger, “Hermann Ebbinghaus and the psychological experiment”, in Werner Traxel (Hrsg.), Ebbinghaus‐Studien 2 (Passau, Passavia Universitätsverlag, 1987), S. 217–224 und Gerhard Benetka, Denkstile der Psychologie. Das 19. Jahrhundert (Wien, WUV‐Universitätsverlag, 2002).

Peter Dudek, Jugend als Objekt der Wissenschaften. Geschichte der Jugendforschung in Deutschland und Österreich 1890–1933 (Opladen, Westdeutscher Verlag, 1990).

Vgl. dazu ausführlich Monika Schubeius, Und das psychologische Laboratorium muss der Ausgangspunkt pädagogischer Arbeiten werden. Zur Institutionalisierungsgeschichte der Psychologie von 1890–1933 (Frankfurt a. M., Peter Lang, 1990).

Vgl. dazu die Tätigkeitsberichte von Willibald Kammel, Das pädagogisch‐psychologische Laboratorium an der niederösterreichischen Landes‐Lehrerakademie in Wien, 5 Bde. (Wien, Selbstverlag, 1914–1918).

Vgl. dazu die geraffte Übersicht in Benetka, “Zur Geschichte der Institutionalisierung der Psychologie”.

Pflichtschullehrer begannen nach Absolvierung der achtjährigen Pflichtschulzeit ihr Studium an einer fünfjährigen Lehrerbildungsanstalt, wo ihnen neben einer praktisch‐pädagogischen Berufsausbildung auch eine höhere Allgemeinbildung vermittelt werden sollte. Die Ablegung der Reifeprüfung an einer Lehrerbildungsanstalt berechtigte nicht zu einem ordentlichen Universitätsstudium. Ibid.

Vgl. z. B. Ernst Schwind, Die Schulreform vom Standpunkte der Hochschulen. Denkschrift der Rektoren der Universität, der Technischen Hochschule und der Hochschule für Bodenkultur in Wien (Wien, Gerold, 1920).

Diese Stellung entsprach der eines Unterrichtsministers.

Der 1922 errichtete Stadtschulrat war die für das mit der Loslösung von Niederösterreich neu entstandene Bundesland Wien zuständige Schulaufsichtsbehörde.

Eine Verlegung der Grundschullehrerbildung an die Universität stand unter den geänderten politischen Bedingungen auf Bundesebene nicht mehr zur Diskussion.

Ausser Karl und Charlotte Bühler lehrten von 1923 am Pädagogischen Institut der Stadt Wien u. a. der Philosoph, Pädagoge und Soziologe Wilhelm Jerusalem, der Heilpädagoge Erwin Lazar, der Sprachheilarzt Emil Fröschels, der Rechtssoziologe und Schöpfer der österreichischen Bundesverfassung von 1920 Hans Kelsen, der Historiker und Volksbildner Ludo Moritz Hartmann, der Germanist Eduard Castle, der Komponist und Musikwissenschafter Egon Wellesz und der Kunsthistoriker Josef Strzygowski. Vgl. Otto Glöckel, Die Wirksamkeit des Stadtschulrates für Wien während des Schuljahres….Bd. 1 (Wien, Selbstverlag des Stadtschulrates, 1924/25–1931/32).

Viktor Fadrus, Das Pädagogische Institut der Stadt Wien. Schulreform, 2 (1923), S. 45–65.

Glöckel, Die Wirksamkeit des Stadtschulrates, Bd. 2, S. 59.

Karl Bühlers Hauptvorlesung aus Psychologie wies an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien regelmässig die höchsten Inskriptionszahlen aller dort angebotenen Lehrveranstaltungen auf. Mit zumeist über 1000 Inskribierten musste sie im “Kleinen Festsaal” der Universität abgehalten werden. Zur Zusammensetzung der Hörerschaft vgl. ausführlich Benetka, Psychologie in Wien, S. 42–56.

Karl Bühler, “Das Forschungsprogramm des psychologischen Institutes Wien”, Pädagogisches Jahrbuch, 43 (1924), S. 72–73.

Ibid., S. 72.

Universitätsarchiv Wien, Personalakt Charlotte Bühler; Brief an den Dekan vom 27.8.1924.

Mitchell G. Ash, “Die Entwicklung des Wiener Psychologischen Instituts 1922–1938”, in Achim Eschbach (Hrsg.), Karl Bühler's Theory of Language (Amsterdam, J. Benjamins Publishing Comp., 1988), S. 303–325.

Charlotte Bühler, “Die ersten sozialen Verhaltungsweisen des Kindes”, in Charlotte Bühler, Hildegard Hetzer & Beatrix Tudor‐Hart, Sozialpsychologische und psychologische Studien über das erste Lebensjahr (Jena, G. Fischer, 1927).

Die Städtische Kinderübernahmsstelle war die Zentralstelle der öffentlichen Kinder‐ und Jugendfürsorge im “Roten Wien”. Alle der öffentlichen Fürsorge überstellten Kinder wurden in dieser Einrichtung für einige Wochen in Quarantäne genommen; während ihres Aufenthalts wurde dann über die Form der weiteren Befürsorgung entschieden.

“Informell” deshalb, weil die aus Rockefeller‐Geldern bezahlten Mitarbeiter ausserhalb des ordentlichen Stellenplans beschäftigt wurden.

Charlotte Bühler, Das Seelenleben des Jugendlichen. Versuch einer Analyse und Theorie der psychischen Pubertät (Jena, G. Fischer, 1922, 1923).

Paul Lazarsfeld, Jugend und Beruf. Kritik und Material (Jena, G. Fischer, 1931).

Charlotte Bühler, Kindheit und Jugend. Genese des Bewusstseins (Leipzig, Hirzel, 1928).

Charlotte Bühler, Der menschliche Lebenslauf als psychologisches Problem (Leipzig, Hirzel, 1933).

Karl Bühler, Die Krise der Psychologie (Jena, G. Fischer, 1927).

Zu Leben und Werk von Egon Brunswik vgl. Friedrich Stadler & Kurt R. Fischer (Hrsg.), Wahrnehmung und Gegenstandswelt. Zum Lebenswerk von Egon Brunswik (Wien, Springer, 1997).

Egon Brunswik, Wahrnehmung und Gegenstandswelt. Grundlegung einer Psychologie vom Gegenstand her (Leipzig, Deuticke, 1934).

Karl Bühler, Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache (Jena, G. Fischer, 1934).

Marie Jahoda & Hans Zeisl, Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langdauernder Arbeitslosigkeit (Leipzig, Hirzel, 1933).

Hildegard Hetzer, “Kinder‐ und jugendpsychologische Forschung im Wiener Psychologischen Institut von 1922 bis 1938”, Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, XIV (1982), S. 175–224.

Mitchell G. Ash, “Österreichische Psychologen in der Emigration. Fragestellungen und Überblick”, in Friedrich Stadler (Hrsg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft (Wien, Jugend und Volk, 1988), S. 252–267.

Charlotte Bühler & Hildegard Hetzer, Kleinkindertests. Entwicklungstests für das erste bis sechste Lebensjahr (Leipzig, Hirzel, 1932).

Nur nebenbei sei angemerkt, dass aus den Wiener Kleinkindertests ein für schulische Zwecke unmittelbar brauchbares Instrument entwickelt wurde: Die von Lotte Danziger ausgearbeitete Testreihe für das sechste Lebensjahr wurde als Prüfverfahren für die Feststellung der Schulfähigkeit verstanden (Lotte Danziger, Der Schulreifetest, Wien, Deutscher Verlag für Jugend und Volk, 1933).

Karl Reininger, Das soziale Verhalten von Schulneulingen (Wien, Deutscher Verlag für Jugend und Volk, 1929).

Else Köhler, Ingeborg Hamberg & Karl Reininger, Zur Psychologie und Pädagogik der geistigen Arbeit (Berlin, Herbig, 1931).

Der Kontext, in dem diese Untersuchung stattgefunden hat, ist typisch auch für die Bestrebungen der Wiener Schulreform: Schon zu Beginn der zwanziger Jahre war an den Wiener Pflichtschulen das traditionelle “Lesebuch” als Sammlung untereinander nicht zusammenhängender Einzeltexte abgeschafft und an seiner Stelle die so genannte Klassenlektüre eingeführt worden. Als “Klassenlektüre” bezeichnete man damals die extra für den Schulgebrauch hergestellten und einheitlich ausgestatteten Einzelbandausgaben von in sich geschlossenen Lesestoffen, die unentgeltlich an die Schüler abgegeben wurden. Bei der Auswahl von geeigneten Schriften sollten folgende Richtlinien beachtet werden: Erstens sollten die Lektüreeinheiten den altersgemässen Lesevorlieben der Schüler und zweitens sowohl dem Inhalt als auch der Sprache nach dem intellektuellen Entwicklungsniveau der einzelnen Altersstufen angepasst sein (Glöckel, Die Wirksamkeit des Stadtschulrates, Bd. 6, S. 26). Nach diesen Kriterien wurde ein “Achtjahresplan” zusammengestellt, in dem für jede Unterrichtsstufe die am besten geeigneten Lesestoffe aufgelistet wurden.

Charlotte Bühler, Das Märchen und die Phantasie des Kindes (Leipzig, Barth, 1925).

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