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Entwicklungspfade städtischer Klimapolitik

Bedeutung von Schlüsselereignissen und Schlüsselakteur:innen für die Klimapolitik in Potsdam, Remscheid und Würzburg

, &

Abstract

Our paper explores the climate pathways of the three mid-sized cities German of Potsdam, Remscheid and Würzburg. Particular emphasis was put on key events (e.g. disruptive events) and key actors (e.g. local decision-makers) that significantly influenced the development of local climate policy. The path analyses are based on the analysis of several key policy documents such as climate strategies and reports and 34 interviews with local actors from city administration and politics. Main results were that all three cities started tackle climate change strategically despite the absence of major disaster events. Furthermore, it emerged that key events driving local climate action were often not directly related to the topic of climate change but concerned other areas of city development in the first place. Lastly, the results suggest that the set of key actors advancing local climate policies should most favorably consist of powerful initiators and accelerators on the executive level, active, well-connected and third-party funds generating supporters within the city administration, and information brokers from science. Future research needs to focus on the interplay between these different key actors. Furthermore, there is a lack of research on mid-sized cities in Germany. There is a need for more case studies in German cities, particularly in those that have not been visible as forerunners. This applies particularly to cities with limited local capacities that have nevertheless managed to pioneer climate policies. Their successful strategies and approaches could serve as models for cities that have to work under similar conditions.

English title: Development pathways of local climate governance – Relevance of key events and key actors for the climate activities of Potsdam, Remscheid and Würzburg

1. Einleitung

Der globale Klimawandel stellt Städte zunehmend unter Handlungsdruck. Einerseits führt die kontinuierliche Erhöhung der Jahresdurchschnittstemperaturen zu einem vermehrten Auftreten von Hitzewellen (Heidenreich et al. Citation2021). Andererseits sorgt der Klimawandel auch für eine Zunahme an plötzlich auftretenden Starkregenereignissen (Thieken et al. Citation2021). Trotz dieser Vielschichtigkeit hat sich die Forschung zur städtischen Klimapolitik in der Vergangenheit zunächst auf den Bereich Klimaschutz und erst in jüngster Zeit auch verstärkt auf die Klimaanpassung fokussiert (Bulkeley Citation2010, Grafakos et al. Citation2019, Haupt Citation2021, Otto et al. Citation2021). Da sowohl Klimaschutz als auch Klimaanpassung entscheidend für den Umgang mit dem Klimawandel sind und da beide auf institutioneller Ebene nicht immer eindeutig getrennt werden können, z. B. im Hinblick auf die Zuständigkeiten oder die handelnden Personen, fokussieren sich die hier vorgestellten Analysen gleichermassen auf die Entwicklung beider Themenfelder.

Anlehnend an bisherige Erkenntnisse aus der städtischen Klima-Governance, aus Ansätzen zum Agenda-Setting und aus der Katastrophenforschung nehmen wir an, dass für den Umfang des institutionellen Wandels in einer Stadt (in Reaktion auf den Klimawandel) vor allem drei Faktoren von entscheidender Bedeutung sind: Erstens das Eintreten von Schlüsselereignissen (insbesondere disruptive Ereignisse), zweitens das Vorhandensein von Schlüsselakteur:innen und drittens die Handlungskapazitäten einer Stadt.

Unser Artikel konzentriert sich auf die klimapolitischen Entwicklungspfade der drei kleinen Grosstädte Potsdam, Remscheid und Würzburg (siehe auch Thieken et al. Citation2018; Haupt und Kern Citation2020)Footnote1. Um die heutige und auch die zukünftige Klimapolitik zu verstehen, bedarf es einer umfassenden Erforschung des klimapolitischen, aber auch des generellen Entwicklungspfades der jeweiligen Stadt. Die historische Dimension (z. B. historische Ereignisse, Pfadabhängigkeiten) wurde bisher bei der Erforschung städtischer Klimapolitik jedoch weitgehend unterschätzt oder gar nicht berücksichtigt. Bei den vorliegenden Pfadanalysen wurde darauf geachtet, die Entwicklung der Klimapolitik möglichst lückenlos und von ihren Ursprüngen an zu erforschen.

Ein wichtiger Arbeitsschritt war hierbei die Identifikation von Schlüsselereignissen und Schlüsselakteur:innen, welche die jeweiligen Entwicklungspfade massgeblich prägen. Bei Schlüsselakteur:innen beziehen wir uns auf die Definition von Hörter et al. (Citation2018), die sie als zentrale Personen aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschaft oder Zivilgesellschaft beschreiben, die der städtischen Klimapolitik durch Handeln zum «richtigen» Zeitpunkt entscheidende Impulse geben können. Generell verstehen wir Schlüsselereignisse anlehnend an Kingdon (Citation1984) als einschneidende Ereignisse, die zur Öffnung eines Politikfensters und in einigen Fällen zu einem Politikwandel in einem bestimmten Bereich führen. Im Hinblick auf Klimapolitik verstehen wir sie als Ereignisse, die wegweisende und längerfristige Auswirkungen auf den klimapolitischen Entwicklungspfad einer Stadt haben. Im Rahmen von einzelnen und vergleichenden Fallstudien wurde die Klimapolitik in vielen Grossstädten in Europa und Nordamerika bereits umfangreich untersucht (Bulkeley Citation2010, Stehle et al. Citation2019, van der Heijden Citation2019). In Deutschland wurden bisher überwiegend grössere Klimavorreiterstädte, wie Berlin, Hamburg, Frankfurt oder München, umfassend erforscht (Monstadt Citation2007, Heinelt, Lamping Citation2015, Huang-Lachmann, Lovett Citation2016). Zudem rückten auch einige wenige kleinere Vorreiter, wie Freiburg oder Heidelberg, in den Fokus der Forschung (Rohracher, Späth Citation2014, Growe, Freytag Citation2020). Van der Heijden (Citation2019) merkte jedoch an, dass die Klimapolitik der meisten kleineren Städte, zu denen auch kleinere Grossstädte gehören, weitgehend unerforscht geblieben ist. In diesem Zusammenhang führten Haupt et al. (Citation2021) an, dass auch die Klimapolitik «gewöhnlicherer» Städte, also Städte, die bisher nicht als internationale Pioniere in Erscheinung getreten sind, rein zahlenmässig aber die bedeutsamste Gruppe darstellen, stärker in den Fokus der Forschung rücken sollte. Mit der systematischen und umfassenden Analyse der Klimapolitiken in den kleinen Grossstädten Potsdam, Remscheid und Würzburg adressiert unser Artikel diese Forschungslücke. Der Artikel ist wie folgt aufgebaut: Zunächst wird der Stand der Forschung erläutert und das theoretische Konzept der Analyse vorgestellt. Erläutert und diskutiert werden insbesondere die potentielle Bedeutung von Schlüsselereignissen und Schlüsselakteur:innen für die städtische Klimapolitik sowie verschiedene Formen des Politikwandels (Abschnitt 2). Anschliessend werden das methodische Vorgehen sowie die drei Fallstudienstädte vorgestellt (Abschnitt 3). Der weitere Teil des Artikels besteht aus der Präsentation und Diskussion der Forschungsergebnisse (Abschnitt 4) sowie einer kurzen Zusammenfassung und einem Ausblick (Abschnitt 5).

2. Konzeptionelle Ansätze zur Erforschung städtischer Klimapolitik

Im folgenden Abschnitt wird die Literatur vorgestellt, auf der unsere Forschungsheuristik basiert. Zunächst wird das methodische Instrument der Pfadanalyse diskutiert und dabei insbesondere die Bedeutung von Schlüsselereignissen und Schlüsselakteur:innen für die Entwicklung städtischer Klimapolitik beleuchtet. Darauf aufbauend entwickeln und unterscheiden wir drei Formen des Politikwandels von städtischer Klimapolitik: den inkrementellen, den radikal/abrupten und den strategischen Wandel.

2.1 Schlüsselereignisse und Schlüsselakteur:innen

Für Pfadanalysen ist zunächst das aus der Ökonomie stammende Konzept der Pfadabhängigkeit von Bedeutung, welches Pierson (Citation2000) für die Politikwissenschaft fruchtbar gemacht hat. Ausgangspunkt ist hierbei das Wechselverhältnis zwischen wichtigen Ereignissen und den daraus resultierenden Folgen für den weiteren Verlauf in einem bestimmten Politikbereich. Relevant sind zudem die insbesondere von Kingdon (Citation1984) eingeführten Ansätze zum Agenda-Setting, zur Bedeutung von Schlüsselereignissen und Schlüsselakteur:innen für die Entstehung von Politikfenstern sowie dem daraus resultierenden Politikwandel. Dabei wird angenommen, dass sich durch den Eintritt eines Schlüsselereignisses, welches Auswirkungen auf die politische Agenda hat, ein Politikfenster öffnet, welches politische und soziale Veränderungen zur Folge haben kann, wie etwa die Verschärfung von technischen Standards oder den Aufbau neuer Organisationsstrukturen (Kingdon Citation1984, Mintrom Citation2019). Wird das Thema zudem von den Medien aufgegriffen, verstärkt sich die Dynamik in der Regel (Birkland, Warnement Citation2014, Spohr Citation2016).

Im Hinblick auf entscheidende Schlüsselereignisse fokussiert sich die Katastrophenforschung in erster Linie auf disruptive Ereignisse, die Eigentum zerstören, Umweltschäden hervorrufen oder sogar Todesopfer fordern, insbesondere Erdbeben, Hochwasser oder Öltanker-Unfälle (Johnson et al. Citation2005, Olshansky, Chang Citation2009, Birkmann et al. Citation2010, Alemanno Citation2011, Tierney Citation2012). Da schnelles Handeln und abrupter Wandel eher bei disruptiven Ereignissen zu erwarten sind, hat sich die Forschung bislang auf solche Konstellationen konzentriert. Die Diskussionen in der Politik- und Verwaltungswissenschaft konzentrierten sich bislang vor allem auf die Reaktionen des politisch-administrativen Systems auf disruptive Ereignisse (Birkland Citation2006, Lindholm Citation2017, Yeo, Knox Citation2019). Anknüpfend an Birkland gehen wir davon aus, dass Extremwetterereignisse (insbesondere Starkregen und Hitzewellen) disruptive Ereignisse darstellen, die eher zu tiefgreifenden Veränderungen führen als Ereignisse, die vergleichsweise geringe Schäden hervorrufen. Ausserdem vermuten wir, dass solche Ereignisse zur Öffnung eines Politikfensters führen können, wodurch schnellere Anpassungsmassnahmen ermöglicht werden. Darüber hinaus gibt es jedoch auch Schlüsselereignisse, die zwar einen Politikwandel einleiten, aber nicht disruptiv sind. Solche Ereignisse können auch ohne gravierende Schäden zur Öffnung eines Politikfensters führen. Genannt werden in der Literatur etwa ein genereller Problemdruck, hervorgerufen durch den fortschreitenden Klimawandel (Clar, Steurer Citation2019), oder veränderte politische Prioritätensetzungen, insbesondere durch Wahlen (Haupt et al. Citation2020).

Schlüsselakteur:innen aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft spielen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle, da sie nach einem Schlüsselereignis ein Politikfenster öffnen und der städtischen Klimapolitik entscheidende Impulse geben können (Hörter et al. Citation2018). Schlüsselakteur:innen vermitteln nicht nur Informationen, sondern initiieren, beschleunigen und unterstützen Wandlungsprozesse in Städten. Trotz ihrer oft sehr unterschiedlichen Rollen und beruflichen Hintergründe zeichnen sie sich generell durch das Empfinden eines hohen Handlungsdrucks, eine hohe persönliche Reputation sowie durch ihre starke Vernetzung in ihrer Stadt aus (Hörter et al. Citation2018).

Unterschiede zwischen Schlüsselakteur:innen bestehen insbesondere im Hinblick auf ihre Entscheidungskompetenzen und damit letztlich auf ihre Gestaltungsmöglichkeiten. Hörter et al. unterscheiden vier Typen von Schlüsselakteur:innen, deren Einteilung primär aufgrund der Hierarchieebene erfolgt. Keine direkten Entscheidungskompetenzen haben Personen, die Informationen vermittleln wie z. B. Wissenschaftler:innen (Typ Informationsvermittler:in). Zwar sind sie nicht in die kommunalen Verwaltungsabläufe eingebunden, können aber dennoch durch ihre Fachkompetenz – im Idealfall auch in Form von Detailkenntnissen über die entsprechende Stadt – einen lokalen Prozess mit anstossen. In der Stadtverwaltung Beschäftigte, die Klimapolitik unterstützen wie z. B. die mit Klimaschutzmanagement betrauten Beschäftigten des Umweltamts (Typ Unterstützer:in), sind hierarchisch in der Sachbearbeitungsebene angesiedelt und typischerweise diejenigen, «die die Fäden im Netzwerk zusammenführen und -halten» (Hörter et al. Citation2018: 19). Schlüsselakteur:innen auf der Führungsebene initiieren oder beschleunigen die Prozesse und können als Einzelpersonen einen Wandel in Gang setzen (Typ Initiator:in und Typ Beschleuniger:in). In der Literatur werden sie auch als Schlüsselfiguren bezeichnet (Sotarauta Citation2014, Gailing, Ibert Citation2016). Schlüsselfiguren können z. B. (Ober-)Bürgermeister:innen, Umweltdezernent:innen oder Geschäftsführer:innen der Stadtwerke sein. Trotz ihrer Führungsposition sollten Schlüsselfiguren stets auch im Zusammenwirken mit ihrem sozialen Umfeld betrachtet werden, da sie in der Regel nur gemeinsam mit diesem Wirkung entfalten (Gailing, Ibert Citation2016).

2.2 Formen des Politikwandels

Zwar dominiert in der Literatur die Beschreibung disruptiver Ereignisse und des daraus resultierenden abrupten Politikwandels, es kann jedoch auch ohne solche Schlüsselereignisse zu Veränderungsprozessen kommen. Dies verdeutlichen die Vorreiterstädte im Bereich Klimaschutz und Klimaanpassung (vgl. Otto et al. Citation2021). Vorreiterstädte, die integrierte Klimaschutzstrategien deutlich früher als andere Städte entwickelt haben, sind im Klimabereich meist personell und finanziell überdurchschnittlich ausgestattet und haben folglich deutlich höhere Handlungskapazitäten als andere Städte (Sharp et al. Citation2011, Kern Citation2019, Haupt et al. Citation2020, Otto et al. Citation2021). Hinzu kommen meist steigende Bevölkerungszahlen, eine gute ökonomische Situation, der politische Einfluss von grünen und alternativen Parteien sowie eine starke Zivilgesellschaft (Zahran et al. Citation2008, Hörter et al. Citation2018, Kern et al. Citation2021). Gesteigert werden können die Handlungskapazitäten zudem durch die Einbindung in nationale und internationale Städtenetzwerke (Kern, Bulkeley Citation2009, den Exter et al. Citation2015, Reckien et al. Citation2015, Haupt et al. Citation2020) sowie durch regionale und nationale Förderprogramme (Stecker et al. Citation2012, Graf et al. Citation2018, Haupt et al. Citation2021, Kern et al Citation2021). Umgekehrt können unsichere Aussagen über Klimafolgen, unzureichende Ressourcen (z. B. Finanzmittel, Personal), mangelnde Unterstützung durch Politik und Verwaltung sowie ungünstige gesetzliche Rahmenbedingungen die städtische Klimapolitik hemmen (Biesbroek et al. Citation2013, Kind et al. Citation2015, Haupt et al. Citation2021).

Wir nehmen an, dass die bestehenden Handlungskapazitäten auch bei der Reaktion auf disruptive Ereignisse von Bedeutung sind, da ein umfassender (institutioneller) Wandel eher in Städten mit hohen Handlungskapazitäten und einer hohen Problemlösungsfähigkeit zu erwarten ist. Im Gegensatz dazu vermuten wir, dass in Städten mit niedrigen Handlungskapazitäten zwar versucht wird, die Situation kurzfristig zu bewältigen, das Ereignis jedoch nicht zu entscheidenden und nachhaltigen Verbesserungen der Situation führt. Vielmehr erwarten wir lediglich eine zeitlich begrenzte Abweichung vom etablierten Entwicklungspfad der Stadt. Bei der Analyse einzelner Städte unterscheiden wir daher zwischen inkrementellen (1), radikalen bzw. abrupten (2) und strategischen (3) Entwicklungspfaden (vgl. ). Diese drei Pfade unterscheiden sich hinsichtlich der Geschwindigkeit des Wandels, Handlungsformen und institutionellen Veränderungen. Ein solcher Entwicklungspfad ergibt sich oft durch die spezifische Kombination der allgemeinen Handlungskapazitäten der Städte, der Schlüsselereignisse (insbesondere disruptiver Ereignisse) und der Schlüsselakteur:innen. Dabei gehen wir davon aus, dass ein strategischer Wandel eher in Vorreiterstädten vorzufinden ist, während in noch abwartenden Nachzüglerstädten der inkrementelle Wandel dominiert. Bei der Analyse der jeweiligen städtischen Entwicklungspfade bietet es sich zudem an, das Wechselspiel zwischen institutionellen und technischen Pfadabhängigkeiten zu berücksichtigen. So kann etwa die Existenz eines etablierten Infrastruktursystems (z. B. das Leitbild der «autogerechten Stadt») den Wandel durch lock-in-Effekte in etablierten und gewachsenen Strukturen verlangsamen oder gar völlig verhindern (Hommels Citation2005, Engler Citation2020).

Tab. 1: Charakteristika des inkrementellen, radikalen/abrupten und strategischen Entwicklungspfads. (Quelle: eigene Darstellung)

3. Fallauswahl und methodisches Vorgehen

Als Fallstudienstädte wurden Potsdam, Remscheid und Würzburg ausgewählt, die sich zum einen durch ihre Lage in verschiedenen Bundesländern und geographischen Regionen und zum anderen durch ihre finanzielle Ausgangssituation unterscheiden. Diese Auswahl von Städten ermöglicht es, verschiedene urbane Expositionen gegenüber klimawandelbedingten Naturgefahren, unterschiedliche Handlungskapazitäten und institutionelle Rahmenbedingungen in Deutschland abzubilden. Wie z. B. das Planspiel zur Städtebaurechtsnovelle 2016/17 (Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) 2017) zeigte, ist bereits das exemplarische Erproben von Massnahmen in wenigen Fallstädten geeignet, um übertragbare Ergebnisse für andere Städte sowie wichtige Erkenntnisse und Empfehlungen für andere politische Ebenen (z. B. Städtenetzwerke, Bundes- und Landesebene) zu erzielen. Darüber hinaus wurden mit Potsdam, Remscheid und Würzburg drei kleine Grossstädte gewählt – ein Stadttyp, der in der Forschung bisher zu Gunsten grösserer und internationaler ausgerichteten Städte weitgehend vernachlässigt wurde (van der Heijden Citation2019, Kern Citation2020, Haupt et al. Citation2021).

Zur Durchführung der Pfadanalysen waren Interviews mit handelnden Akteur:innen erforderlich, um – im Sinne eines policy tracing – ein differenziertes Verständnis über die verschiedenen Muster und Trends städtischer Klimapolitik zu gewinnen und zu vertiefen. Daher wurden zwischen Juli 2017 und Juni 2021 insgesamt 35 Interviews mit Beschäftigten der Stadtverwaltung und -politik in Potsdam (14), Remscheid (12) und Würzburg (9) durchgeführt; davon 27 vor Ort und acht per Telefon oder über eine Online-Plattform. Es wurden sowohl Interviews mit derzeitigen als auch ehemaligen Beschäftigten geführt. Viele Interviewte waren zudem bereits seit mehreren Jahrzehnten in den jeweiligen Fallstudienstädten tätig.

Primäres Ziel der Interviews war es, herauszufinden, seit wann in den Fallstädten Klimapolitik (Klimaschutz und Klimaanpassung) betrieben wurde, welche Schlüsselereignisse und Schlüsselakteur:innen den Politikwandel einleiteten (sofern er stattfand), wie sich die Bedeutung des Themas Klimawandel (sofern zutreffend) über die Jahre veränderte und welche Rolle das Thema Klimaschutz im alltäglichen Verwaltungshandeln spielt. Den semi-strukturierten Interviews lag ein aus offenen Fragen bestehender Interviewleitfaden zu Grunde, der je nach Interviewpartner:in leicht angepasst wurde.

Die Ergebnisse der Interviews wurden durch die Analyse zahlreicher Policy-Dokumente und weiterer Quellen vor- und nachbereitet und komplementiert. Die Analyse erfolgte mit Blick auf Informationen mit Relevanz für die städtische Klimapolitik. Bei den Policy-Dokumenten handelte es sich vor allem um zentrale Dokumente der Klimapolitik (z. B. Klimaschutz- und Klimanpassungskonzepte und Klimaberichte). Für Potsdam sind hier insbesondere das Integrierte Klimaschutzkonzept (Landeshauptstadt Potsdam Citation2010), das Klimaanpassungskonzept (Landeshauptstadt Potsdam Citation2015), und der Masterplan 100 % Klimaschutz Potsdam 2050 (Landeshauptstadt Potsdam Citation2017) zu nennen, für Remscheid das Integrierte Klimaschutzkonzept (Stadt Remscheid Citation2013) und das Klimaanpassungskonzept (Stadt Solingen, Stadt Remscheid Citation2013) und für Würzburg das Integrierte Klimaschutzkonzept (Stadt Würzburg Citation2012), welches sowohl Klimaschutz als auch Klimaanpassung berücksichtigt. Darüber hinaus wurden weitere relevante Dokumente hinzugezogen (z. B. Geschäftsberichte von Energieproduzenten, Organigramme, Protokolle von Stadtratssitzungen, Zeitungsartikel). Die Interviews und die Dokumentanalyse wurden ergänzt durch die Teilnahme an zahlreichen klimarelevanten Veranstaltungen in den Fallstudienstädten (z. B. Starkregenworkshop in Remscheid oder Workshop zur Entwicklung der Stadtklimakarte Potsdam).

Ziel der Pfadanalysen war es, die klimapolitischen Entwicklungspfade der drei Städte mit einem besonderen Augenmerk auf Schlüsselereignissen zu erforschen. Die Einordnung als Schlüsselereignis kann oft erst rückblickend – einige Jahre nach dem Ereignis – erfolgen. Aus klimapolitischer Sicht spricht einiges dafür, dass im Jahr 2019 in vielen Städten solche Schlüsselereignisse auftraten: 2019 war eines der heissesten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, Klimaaktivist:innen (insbesondere von Fridays for Future), erhöhten den Druck auf die Regierenden und in vielen Städten wurde die Ausrufung des Klimanotstands diskutiert – so auch in Potsdam, Remscheid und Würzburg. In Potsdam wurde der Klimanotstand ausgerufen (Interviews 11, 14), in Remscheid wurde die Erarbeitung einer neuen Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen (Interviews 32, 34) und in Würzburg wurde ein Klimaversprechen abgegeben, und zudem die Stelle eines Klimabürgermeisters eingerichtet und das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 beschlossen (Interviews 21, 33). Alle drei Ereignisse wurden in dieser Arbeit trotz der potenziell sehr grossen Bedeutung noch nicht als Schlüsselereignisse klassifiziert, da die Bedeutung auf den weiteren klimapolitischen Entwicklungspfad aufgrund des geringen zeitlichen Abstands noch nicht abschliessend bewertet werden konnte.

Die drei Fallstädte, die sich unter anderem durch ihre naturräumlichen und städtebaulichen Gegebenheiten unterscheiden, werden im Folgenden kurz vorgestellt. Zusätzliche Informationen zur geographischen Lage, Bevölkerung, Bedeutung in der Region, Politik, Infrastruktur, Wirtschaft, Geschichte, Kunst und Kultur sowie zur Forschungslandschaft können entnommen werden.

Tab. 2: Basis- und Hintergrundinformationen zu den Fallstudienstädten. (Quelle: eigene Darstellung)

Potsdam, das sich selbst als «grüne Stadt am Wasser» bezeichnet, ist mit rund 180 000 Einwohner:innen Brandenburgs bevölkerungsreichste Stadt und zugleich dessen Landeshauptstadt. Seit der Jahrtausendwende wird ein enormes Bevölkerungswachstum verzeichnet, welches den Druck zur Weiterentwicklung der Stadtflächen fortlaufend erhöht. Der wirtschaftliche Fokus liegt auf Dienstleistungen. Mit drei öffentlichen Hochschulen sowie mehr als 30 ausseruniversitären Forschungsinstituten, darunter das renommierte Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), ist Potsdam zudem ein bedeutender Wissenschaftsstandort. Darüber hinaus verfügt Potsdam als ehemalige preussische Residenzstadt über mehrere weitläufige Schloss- und Parkanlagen. Zudem stellt der Tourismus mit jährlich etwa 500 000 Besucher:innen einen wichtigen Wirtschaftsfaktor für die Stadt dar (Landeshauptstadt Potsdam Citation2018). Nicht zuletzt aufgrund der grossen Bedeutung des Tourismus hat der Erhalt der historischen Gebäude und Parkanlagen einen hohen Stellenwert in der Stadtentwicklung.

Remscheid ist mit etwa 110000 Einwohner:innen die kleinste kreisfreie Stadt in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland Nordrhein-Westfalen und nach Wuppertal und Solingen die drittgrösste Stadt im Bergischen Land. Charakteristisch für das Bergische Land und dessen Landschaftsbild ist die hohe Zahl an Talsperren. Allein auf Remscheider Stadtgebiet befinden sich vier Talsperren (Stadt Remscheid o.J.). Die Industriestadt mit langer Tradition überwiegend in der Metall- und Werkzeugherstellung befindet sich, nicht zuletzt in Folge des zunehmenden internationalen Wettbewerbs, seit Jahrzehnten in einem wirtschaftlichen Strukturwandel. Zudem hat die Bevölkerungszahl seit den 1970er Jahren um etwa 20 % abgenommen. Ein anhaltender Rückgang könnte längerfristig sogar den Verlust des Grossstadtstatus und der Kreisfreiheit zur Folge haben.

Mit rund 128 000 Einwohner:innen ist Würzburg die sechstgrösste Stadt im Freistaat Bayern. Die traditionsreiche Bischofs- und Universitätsstadt ist durch eine gleichbleibende Bevölkerungszahl bei guter ökonomischer Lage gekennzeichnet. Aufgrund des hohen Alters der Gebäude und der Einengung durch das Maintal ist die Innenbzw. Altstadt sehr dicht bebaut. Zudem weist sie einen ausserordentlichen hohen Versiegelungsgrad auf und hat nur wenige Grünflächen. Die Identität der Stadt wird wesentlich durch die historische Altstadt mit ihren vielen denkmalgeschützten Gebäuden (süddeutscher Barock) und die zahlreichen, im Besitz der Kirche befindlichen Liegenschaften sowie ihre Lage in einer bekannten Weinregion bestimmt.

4. Klimapolitik in Potsdam, Remscheid und Würzburg

In diesem Abschnitt werden die wichtigsten Ergebnisse der drei Pfadanalysen beschrieben und diskutiert. Zunächst wird die jeweilige Betroffenheit durch den Klimawandel erläutert. Anschliessend wird die Entwicklung der städtischen Klimapolitik aufgezeichnet und analysiert. Auf den Erkenntnissen der vorangegangenen Abschnitte aufbauend wird die Bedeutung von Schlüsselereignissen und Schlüsselakteur:innen für diese Entwicklung erläutert und eingeordnet.

4.1 Betroffenheit durch den Klimawandel

Potsdam, Remscheid und Würzburg werden durch die notwendige Anpassung an die Folgen des Klimawandels vor nicht unerhebliche Herausforderungen gestellt. In allen drei Städten konnte in den letzten Jahrzehnten ein Anstieg der Jahresdurchschnittstemperaturen beobachtet werden. Seit den 1950er Jahren beträgt die Erwärmung in Potsdam und Würzburg bereits mehr als ein Grad Celsius, in Remscheid liegt sie noch knapp unter einem Grad Celsius (Landeshauptstadt Potsdam Citation2015, Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen o.J., Stadt Würzburg o. J.).

Die Auswirkungen des Klimawandels sind in Potsdam bisher nur bedingt spürbar. Allerdings wird mit stärkeren Klimaveränderungen bis zum Ende des Jahrhunderts gerechnet: Starkregenereignisse traten zwischen 1971 und 2000 etwa viermal pro Jahr auf. Zwar konnte keine Veränderung in der Häufigkeit für diesen Zeitraum festgestellt werden, jedoch wird für die Zukunft von einem hohen Anstieg an Starkregentagen ausgegangen (Landeshauptstadt Potsdam Citation2015). Die Interviewten der Potsdamer Stadtverwaltung gaben an, dass es bis auf wenige Ausnahmen kaum Probleme mit Hochwasser oder Überschwemmungen gab (Interviews 1, 2, 3). Ein Ausnahmefall war ein Starkregen im Sommer 2017, der ein Verkehrschaos inklusive Ausfällen des öffentlichen Nahverkehrs, überflutete Keller und Wohnungen sowie massive Erosionen in den Potsdamer Parkanlagen zur Folge hatte (Interview 11). Es konnten Regenmengen von 112,5 Litern pro Quadratmeter innerhalb von 24 Stunden verzeichnet werden – mehr als jemals zuvor seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (Fratzke et al. Citation2017). Im Hinblick auf Hitzeereignisse prognostiziert das PIK sowohl eine Erhöhung der Tageshöchsttemperatur als auch einen Anstieg der Trockenphasentage in Potsdam. Die Klimamodelle zeigen bereits jetzt eine Zunahme von 0,43 Trockenphasentagen pro Jahr und projizieren eine Steigerung der Trockenphasentage um 81 bis 141 % bis 2100. Nach Berechnungen des PIK werden sich sowohl die Tageshöchsttemperatur in Potsdam als auch die Jahresmitteltemperatur weiterhin und mit zunehmender Geschwindigkeit erhöhen. Bis 2100 wird eine Erwärmung zwischen 3,1 und 3,4 Grad Celsius erwartet (Landeshauptstadt Potsdam Citation2015).

Im Hinblick auf Extremwetterereignisse war Remscheid, das in einer der regenreichsten Gegenden Deutschlands liegt, bisher vor allem von Starkregen betroffen. Insbesondere die sommerlichen Starkregenereignisse von 2007, 2013 und 2018 sind in Erinnerung geblieben. Diese sorgten (unter anderem) für überflutete Keller und Tiefgaragen, Verkehrschaos und Verkehrsunfälle (Rüttgen, Röser Citation2013, Röser Citation2018). Als Folge des Starkregens von 2018 entgleiste auf der Bahnstrecke zwischen Remscheid und Solingen eine S-Bahn, die mit einem Baum kollidierte, der nach einem Erdrutsch auf das Gleis gespült wurde (Röser Citation2018). Bereits 2015 war es auf derselben Bahnstrecke zu einem unwetterbedingten Erdrutsch gekommen, welcher zu Beschädigungen am Bahngleis führte (Hielscher Citation2015). In beiden Fällen mussten die Bahnreisenden mehrere Wochen auf Ersatzbusse umsteigen. Einige Interviewte aus Remscheid merkten an, dass viele Bürger:innen eher gelassen mit Starkregen umgehen und diesen auch nicht zwingend mit dem Klimawandel in Verbindung bringen («hier hat es doch schon immer viel geregnet») (Interviews 22, 24, 25, 26). Durch die zu erwartenden Klimaveränderungen wird neben einem vermehrten Auftreten von Starkregen auch von einer deutlichen Zunahme von Hitzeereignissen ausgegangen (Stadt Solingen, Stadt Remscheid Citation2013). Bis zum Jahr 2100 wird, je nach Szenario, ein Temperaturanstieg zwischen 1,5 und 4,4 Grad Celsius prognostiziert. Darüber hinaus hat eine siedlungsklimatische Analyse ergeben, dass insbesondere in der relativ dicht bebauten und teilweise von Kaltluftströmen abgeschnittenen Remscheider Innenstadt im Sommer verstärkt Wärmeinseln entstehen können (Hein et al. Citation2019).

In Folge des Anstiegs der Durchschnittstemperaturen und zunehmender Hitzeereignisse ist Würzburg bereits heute deutlicher als andere Städte in Deutschland gezwungen, sich an den Klimawandel und dessen Folgen anzupassen. Im Maintal, einer der wärmsten und sonnenreichsten Regionen Deutschlands, steht insbesondere die Weinwirtschaft in und um Würzburg unter einem hohen Anpassungsdruck. Diese hat für die lokale Wirtschaft und die lokalen Traditionen eine herausragende Bedeutung. Verstärkt werden die klimatischen Effekte durch den hohen Versiegelungsgrad und die dichte Bebauung, insbesondere der Altstadtgebiete, wo es vergleichsweise wenig Stadtgrün, geschweige denn Parkanlagen gibt. Einschlägige Prognosen legen nahe, dass Würzburg auch in Zukunft zu den deutschen Städten gehören wird, in denen die Klimaerwärmung besonders ausgeprägt sein wird. Zum Beispiel wurde mit regional angelegten Klimamodellen errechnet, dass in der Region Würzburg bis zum Jahr 2100 in den meisten Jahreszeiten mit einer weiteren Erwärmung um circa 5 Grad Celsius gerechnet werden muss (Stadt Würzburg o.J.). Dass die Erwärmung «gefühlt» bereits stattfindet, bestätigten Beschäftigte der Stadtverwaltung, die hauptsächlich in besonders sonnenexponierten Gebäuden in Innenstadtlage über extreme Hitze in den Arbeitsräumen berichteten (Interviews 14, 16, 33). Anders als etwa Remscheid war Würzburg jedoch noch nicht von ausgeprägtem Starkregen betroffen. Allerdings gab es bereits mehrere kleinere Starkregenereignisse in der unmittelbaren Umgebung. So kam es beispielsweise 2017 im Nachbarort Hettstadt durch hohe Niederschlagsmengen zu Strassenschäden und vollgelaufenen Kellern (Ehehalt Citation2017). Darüber hinaus hat Würzburg, am Main liegend, eine jahrhundertelange Erfahrung im Umgang mit Flusshochständen. Durch die erwartete Zunahme von lokal relativ begrenzten Starkregenereignissen rücken auch die kleineren Flüsse und Bäche im Stadtgebiet zunehmend in den Fokus.

4.2 Entwicklung der städtischen Klimapolitik

Das Thema Klimaschutz entwickelte sich in den untersuchten Fallstädten zeitlich und inhaltlich recht unterschiedlich. fasst die wichtigsten Meilensteine der Klimapolitik in Potsdam, Remscheid und Würzburg zusammen. Unter Meilensteinen verstehen wir wichtige Errungenschaften im Bereich der Klimapolitik, die eindeutig dem Handeln der zuständigen Akteur:innen zuzurechnen sind. Im Unterschied dazu liegt etwa das Eintreten eines Schlüsselereignisses (z. B. disruptives Ereignis, wechselnde politische Mehrheiten) nicht in der Hand dieser Akteur:innen. Dennoch besteht wie beschrieben natürlich die Möglichkeit, dass Schlüsselakteur:innen, das durch ein Schlüsselereignis geöffnete Politikfenster erkennen und nutzen.

Tab. 3: Meilensteine der Klimapolitik in den drei Fallstudienstädten. (Quelle: eigene Darstellung)

Potsdam wurde deutlich früher als andere Städte in Deutschland in der Klimapolitik aktiv, was etwa der Stadtratsbeschluss zum Beitritt zum Städtenetzwerk Klimabündnis 1995 belegt. Ein Beitritt zum Klimabündnis ist automatisch mit der Zielsetzung verbunden, die CO2-Emissionen alle fünf Jahre um 10 % zu reduzieren. Das anzustrebende Endziel sind CO2Emissionen pro Kopf von 2,5 Tonnen Footnote2 (Interviews 1, 24, 25). Zentrale Dokumente für die Potsdamer Klimapolitik sind das Integrierte Klimaschutzkonzept Potsdam (2010), das Klimaschutzteilkonzept Anpassung an den Klimawandel in der Landeshauptstadt Potsdam (2015) sowie der Masterplan 100 % Klimaschutz Potsdam (2017). Obwohl es noch zahlreiche weitere Strategiepapiere und Berichte zu Klimaschutz und -anpassung gibt, legen insbesondere diese drei Gutachten die Ziele und den übergeordneten Handlungsrahmen der Potsdamer Klimapolitik fest. Durch das Integrierte Klimaschutzkonzept und die Institutionalisierung von Klimapolitik in der Stadtentwicklung, z. B. durch die Einrichtung der Koordinierungsstelle Klimaschutz im Jahr 2008, wurden Klimaschutz und -anpassung in der Verwaltung verankert, auch wenn sie in den letzten Jahren keinen übergeordneten Handlungsoder Themenschwerpunkt der Stadtentwicklung bildeten. Die Klimaschutzziele aus dem integrierten Konzept von 2010 wurden durch den Masterplan 100 % Klimaschutz Potsdam noch beträchtlich ambitionierter: Als eine von 39 Masterplan-Kommunen bzw.Landkreisen in Deutschland setzte sich Potsdam das Ziel, die CO2-Emissionen bis 2050 um 95 % gegenüber 1990 sowie den Endenergieverbrauch um 50 % zu senken (Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft Citation2015). Trotz – oder vielleicht auch insbesondere aufgrund der beschriebenen kontinuierlichen Institutionalisierung der Klimapolitik und der (für die damalige Zeit) sehr ambitionierten Zielsetzungen – bestehen im Hinblick auf das starke Bevölkerungswachstum erhebliche Konflikte zwischen Klimapolitik und Stadtentwicklung (z. B. bei der Freihaltung von Frischluftschneisen), wie einige Interviewte hervorhoben (Interviews 1, 2, 4, 5, 11, 12).

Wie Potsdam wurde auch Remscheid sehr früh in der Klimapolitik aktiv und trat ebenfalls 1995 dem Klimabündnis bei und verpflichtete sich somit zu dessen Klimaschutzzielsetzungen. Anders als in Potsdam musste um den für den Beitritt nötigen Stadtratsbeschluss aber hart gerungen werden: Dieser kam letztlich nur zu Stande, da es dem Fachdienst Umwelt gelang, den ersten Jahresbeitrag für die Mitgliedschaft im Klimabündnis durch einen Spendenaufruf zu finanzieren (Interviews 24, 25, 26). Es war auch der Fachdienst, der seit 1995 regelmässig Klimaberichte verfasste und somit Politik und Öffentlichkeit über den Fortschritt und den weiteren Handlungsbedarf informierte. Hinzu kamen die Erstellung zweier Klimaschutzkonzepte (1999 und 2014) sowie das Klimaschutzteilkonzept zur Klimaanpassung (2013). Letzteres wurde zusammen mit der Nachbarstadt Solingen im Rahmen eines von Forschenden der RWTH Aachen unterstützten Projektes erstellt. Durch das geförderte Projekt wurden für Remscheid Klimafunktionskarten erstellt, welche etwa die Hitze-Hotspots sowie die am stärksten durch Niederschlagsereignisse gefährdeten Areale lokalisierten. Die Interviewten hoben die Bedeutung der Klimafunktionskarten als unverzichtbare Wissensgrundlage für die Klimaanpassung hervor und stellten zugleich klar, dass diese aus städtischen Eigenmitteln nicht finanzierbar gewesen wären (Interviews 22, 24, 25, 27). Remscheid verfolgt seit vielen Jahren einen strikten Sparkurs, der auch die Klimapolitik betrifft (die jedoch auch zuvor wenig Unterstützung erfuhr). Die Folge war, dass der Fachdienst Umwelt nahezu alle Klimaschutz- und Klimaanpassungsmassnahmen durch Drittmittelprojekte realisiert hat. Die daraus resultierende fehlende Planungssicherheit und das notgedrungene Denken von Projekt zu Projekt führten letztlich dazu, dass sich Remscheid im Vergleich zu anderen Städten eher moderate und eher kurzfristige Klimaschutzziele gesetzt hat, wie etwa der Beschluss zur CO2-Emissionsreduktion um 14 % bis 2022 (Basisjahr 1990). Darüber hinaus ist die Klimapolitik mit stadt- und verkehrsplanerischen «Altlasten» konfrontiert. So wurde die Stadt über Jahrzehnte einseitig als autogerechte Stadt entwickelt, wobei der öffentliche Nah- und Fernverkehr deutlich zurückstehen musste. Der zweigleisige Remscheider Hauptbahnhof ist der einzige Hauptbahnhof in Deutschland, an dem ausschliesslich S-Bahnen verkehren (Radtke Citation2021). Darüber hinaus belegte Remscheid 2018 beim Fahrradklimatest des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), der die Fahrradfreundlichkeit deutscher Städte bewertet, den letzten Platz aller in dieser Kategorie untersuchten deutschen Städte (ADFC 2018). Es verwundert somit nicht, dass die Interviewten den Bereich Mobilität als die grösste Schwachstelle der Remscheider Klimapolitik identifizierten (Interviews 24, 25, 27, 29, 34).

Trotz der starken Betroffenheit durch Hitze wurde Würzburg – anders als Potsdam und Remscheid – erst spät in der Klimapolitik aktiv, dann aber umso ambitionierter und mit recht hohem Tempo. 2008 trat die Stadt dem Klimabündnis bei, inklusive Verpflichtung zur Reduktion der CO2-Emissionen. Ein Jahr später traf Würzburg per Stadtratsbeschluss auf interfraktionellen Antrag hin die Entscheidung, die 50-prozentige Reduktion der CO2-Emissionen (Basisjahr 1990) bereits bis 2020 erreichen zu wollen. Die Entwicklung von Anpassungsmassnahmen im Bereich Hitze haben in Würzburg eine hohe Priorität und werden von grossen Teilen der Stadtbevölkerung eingefordert (Interviews 14, 16). Trotzdem ist die Entwicklung entsprechender Klimaanpassungsstrategien und -massnahmen – wie in den meisten anderen deutschen Städten – eng mit der Entwicklung der Klimaschutzkonzepte verbunden. Zwar wurden Massnahmen im Bereich der Klimaanpassung später als im Bereich des Klimaschutzes eingeleitet, allerdings wurden aufgrund des lokalen Handlungsdrucks Klimaanpassungsmassnahmen bereits vergleichsweise früh berücksichtigt, z. B. im Integrierten Klimaschutzkonzept von 2012, das derzeit noch zentrale strategische Klimaschutz-Instrument Würzburgs. Der Hochwasserschutz spielte aufgrund der exponierten Lage am Main bereits sehr lange eine wichtige Rolle, wird jedoch in Würzburg erst seit kurzem im Rahmen der Klimawandelanpassung behandelt. Das gegenwärtige Hochwasserschutzkonzept wurde nach schweren Überschwemmungen im Jahr 1970 entwickelt und bis 2009 (baulich) umgesetzt. Es setzt aufgrund nicht vorhandener Überflutungsflächen auf die Abschottung von gefährdeten Gebieten. «Normale» Hochwasserstände des Mains sind durch die umgesetzten Massnahmen bislang gut unter Kontrolle (Interviews 14, 15, 16). Die enorm gestiegene Präsenz des Themas Klima in Würzburg legte jedoch auch die stadtspezifischen Hindernisse und Herausforderungen auf dem Weg zur klimaangepassten Stadt offen. In diesem Zusammenhang führten einige Interviewte an, dass die enge historische Bebauung und das Fehlen von Grünflächen in der Innenstadt die grössten Herausforderungen für die Umsetzung von Klimaschutz- und Klimaanpassungsmassnahmen darstellen (Interviews 14, 16, 18, 21).

4.3 Bedeutung von Schlüsselereignissen und Schlüsselakteur:innen

Trotz der nicht unerheblichen Schäden und Beeinträchtigungen durch Starkregen, insbesondere in Remscheid, handelt es sich bei den in Unterabschnitt 4.1 beschriebenen Ereignissen nicht um besonders ausgeprägte disruptive Ereignisse, zumindest im Vergleich zu den in der Katastrophenforschung diskutierten Ereignissen (Alemanno Citation2011; Tierney Citation2012). So kam es bislang beispielsweise «nur» zu geringen Zerstörungen von Eigentum oder Umweltschäden und auch nicht zu Todesfällen. Die Pfadanalysen haben jedoch gezeigt, dass in allen drei Städten trotz des Fehlens von derart ausgeprägten disruptiven Ereignissen Klimaschutz- und Klimaanpassungsmassnahmen umgesetzt wurden, oft massgeblich angestossen von lokalen Schlüsselakteur:innen. Diesen Massnahmen gingen zum Teil kontextspezifische Schlüsselereignisse voraus, die nicht disruptiver Natur waren. Die jeweils wichtigsten Schlüsselereignisse, die wenig mit dem Thema Klima zu tun hatten, werden im Folgenden erläutert.

Für Potsdam konnten im Wesentlichen drei Schlüsselereignisse identifiziert werden, welche grosse Auswirkungen auf die Stadt und insbesondere die Klimapolitik hatten. Zunächst erhielten weite Teile der Potsdamer Kulturlandschaft kurz nach der Wiedervereinigung den Welterbe-Status der UNESCO. Etwa ein Drittel des gesamten Stadtgebiets fällt unter den Welterbestatus. Das Welterbe spielt seitdem eine entscheidende Rolle in der Stadtentwicklung und ist zum «Superthema» avanciert, das sämtliche städteplanerische und strategische Entscheidungen und (Bau-)Massnahmen mit beeinflusst (Interviews 2, 11, 13 und Kern et al. Citation2021). Weiterhin war die Einrichtung des PIK 1992 von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des Wissenschaftsstandorts Potsdam und im späteren Verlauf auch für die städtische Klimapolitik. Zunächst ging es bei der Einrichtung des PIKs vor allem darum, ein Wissenschaftszentrum von internationaler Bedeutung zu etablieren. In der Folge ergaben sich durch die Existenz eines solchen Instituts entscheidende Vorteile für die Potsdamer Klimapolitik. Zum einen sorgt es für eine gute Datengrundlage für den Raum Potsdam, zum anderen waren Forschende des PIK direkt an der Entwicklung aller lokalen Klimastrategien beteiligt (Interviews 1,11) und fungierten hierbei als Schlüsselakteur:innen des Typs Informationsvermittler:in. Ein weiteres Schlüsselereignis war die Umstellung des Heizkraftwerks Potsdam-Süd von Kohle auf Gas, die 1993 beschlossen wurde. Dies hatte einen erheblichen Rückgang der CO2-Emissionen zur Folge. Trotz der grossen Bedeutung für die Potsdamer Klimabilanz standen bei dieser Entscheidung keine Klimaschutzüberlegungen im Vordergrund. Vielmehr wurden Impulse aus Stadtbevölkerung und Stadtparlament aufgenommen, die eine steigende Unzufriedenheit mit der Umweltsituation erkennen liessen. In der Tat musste die Potsdamer Bevölkerung mit einer erheblichen Luftverschmutzung leben, die eine unmittelbare Folge der Kohleverbrennung in der Stadt war (Interview 12). Die Entscheidung zur Umstellung von Kohle auf Gas ging massgeblich vom damaligen Oberbürgermeister Horst Gramlich (SPD) aus und wurde gegen den massiven Widerstand der Brandenburger Kohlebranche (Kohleindustrie, Gewerkschaften) sowie der Brandenburger Landesregierung durchgesetzt, die seit der deutschen Wiedervereinigung SPD-geführt ist. Es gelang Gramlich ein völlig neues Thema auf die Tagesordnung zu setzen und Politikinhalte nachhaltig zu verändern, weshalb er nach Hörter et al. (Citation2018) als Schlüsselakteur des Typs Initiator:in klassifiziert werden kann.

Neben Gramlichs wichtiger Weichenstellung im Energiebereich wurde die strategische Klimapolitik in Potsdam in erster Linie durch das Potsdamer Stadtparlament, und hier primär von der Stadtratsfraktion «DIE aNDERE»Footnote3, sowie von Forschenden, insbesondere des PIK, angestossen. Die Erstellung des ersten integrierten Klimaschutzkonzepts 2010 erfolgte nicht zuletzt auf Initiative und Druck der Partei «DIE aNDERE». Darüber hinaus ergaben die Interviews mit Beschäftigten der Stadtverwaltung, dass die damalige nationale Diskussion zum Klimawandel und der vor Ort herrschende «politische Mainstream» Hintergründe für die Intensivierung der Potsdamer Klimapolitik waren. Klimaschutzthemen und -massnahmen seien von Politik und Öffentlichkeit eingefordert worden (Interviews 2, 4, 12). Von Mitarbeitenden der Stadtverwaltung wurde das Potsdamer Stadtparlament in Bezug auf das Thema Klima als eher aktiv beschrieben (Interviews 1, 11, 13), insbesondere im Vergleich mit anderen ostdeutschen Städten. In der alltäglichen und konkreten Arbeit wurden Potsdams Klimaschutzaktivitäten entscheidend von Mitarbeitenden der Koordinierungsstelle Klimaschutz (Schlüsselakteur:innen des Typs Unterstützer:innen) vorangetrieben sowie kontinuierlich vertieft und verstetigt. Als zentrales Dokument der Potsdamer Klimapolitik ist der 2017 beschlossene Masterplan 100 % Klimaschutz zu nennen. Die Koordinierungsstelle Klimaschutz hat diesen nicht nur erarbeitet, sondern zuvor auch die Förderung für die Konzepterstellung im Rahmen eines Wettbewerbs des Bundesumweltministeriums eingeworben.

Neben einer Vielzahl kleinerer Ereignisse mit gewisser Bedeutung für die Klimapolitik, stechen in Remscheid zwei Schlüsselereignisse heraus: zunächst der Absturz eines US-Kampfbombers über einem Remscheider Wohnviertel im Jahr 1988, bei dem es sieben Tote und 50 Verletzte gab (Interviews 24, 25). Das Ereignis behinderte die Klimaschutzbemühungen massgeblich, da das Umweltamt (heute Fachdienst Umwelt) umfangreiche Ressourcen in die Bewältigung der Unglücksfolgen investieren musste. Das Thema Klimaschutz wurde zwar bereits Anfang der 1990er Jahre unter dem Eindruck der Weltklimakonferenz in Rio 1992 im Remscheider Stadtrat diskutiert. Letztlich konnte es jedoch aufgrund des Unglücks erst deutlich später als geplant im Umweltamt auf die Tagesordnung gesetzt werden. Dies gelang erst, nachdem die durch das Flugzeugunglück angefallenen Arbeiten, insbesondere die Beseitigung der Altlasten, weitgehend erledigt waren. Das zweite Schlüsselereignis war die Änderung des Bundesbaugesetzes im Jahr 2011 (Interviews 22, 24, 25, 26). Die Gesetzesnovelle schrieb vor, dass Klimaschutz und Klimaanpassung fortan in die Bauleitplanung integriert werden mussten. Von Schlüsselakteur:innen (Typ Unterstützer:innen) des hierbei federführenden Fachdiensts Umwelt wurde diese Gesetzesänderung als entscheidendes Ereignis für die Klimaanpassung in Remscheid identifiziert. In der Folge wurde im Rahmen eines über Drittmittel finanzierten Projekts zusammen mit der Nachbarstadt Solingen eine Checkliste für die Bauleitplanung erarbeitet, welche mittlerweile in der Remscheider Bauleitplanung konsequent angewendet wird (Interviews 22, 24, 25). Neben den sehr aktiven und gut vernetzten Schlüsselakteur:innen des Fachdiensts Umwelt, die an allen klimarelevanten Aktivitäten federführend beteiligt waren, fehlten in Remscheid jedoch sehr lange Schlüsselakteur:innen auf der Führungsebene. Bisher hatte noch kein:e Remscheider Oberbürgermeister:in den Klimaschutz aktiv vorangebracht, allerdings wurden die Bemühungen des Fachdiensts Umwelt auch nicht aktiv behindert (Interviews 22, 24, 25, 29, 32). Ausgehend von der Debatte um die mögliche Ausrufung des Klimanotstands im Sommer 2019 erhielt das vernachlässigte Thema Nachhaltigkeit neuen Schwung, woran auch die neue städtische Umweltdezernentin (Schlüsselakteurin des Typs Beschleuniger:in) massgeblich beteiligt war. In der Folge beschloss der Stadtrat eine neue Nachhaltigkeitsstrategie zu erarbeiten, welche mit zusätzlichem Personal erstellt und umgesetzt werden soll (Interviews 24, 32).

Als Grund für die Passivität der bisherigen Oberbürgermeister:innen führten die Interviewten an, dass der Fokus stets auf den als wichtiger empfundenen Themen Wirtschaft und Arbeitsplätze lag. Es wurden kaum Synergien mit dem Klimaschutz gesehen (Interviews 24, 25, 26, 28, 29, 30, 32, 34). Ferner besteht der Eindruck, dass der Klimawandel bisher von der Mehrzahl der Remscheider Wähler:innen nicht als Thema von herausragender Bedeutung angesehen wird (Interviews 24, 25, 27, 29, 34). Unter diesen Umständen konnten sich auch die engagierten Schlüsselakteur:innen im Fachdienst Umwelt nicht über bestehende Pfadabhängigkeiten und lock-in-Effekte (Hommels Citation2005, Engler Citation2020), wie die einseitig auf das Automobil ausgerichtete Infrastruktur Remscheids, hinwegsetzen.

Für die Würzburger Klimapolitik konnten insbesondere zwei Schlüsselereignisse identifiziert werden. Zunächst ist hier die Sanierung und Umrüstung des städtischen Heizkraftwerks von Kohle auf Gas ab dem Jahr 2003 zu nennen. Diese hatte erheblichen Einfluss auf die CO2-Bilanz der Stadt, erfolgte allerdings weniger aus Klimaschutzüberlegungen, sondern war primär dem Alter des Kraftwerkes geschuldet (Interview 16). 2009 wurde das von der stadteigenen Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH betriebene Kraftwerk um eine Gas- und Dampfturbinenanlage erweitert, sodass es mittlerweile den Grossteil des in der Region Würzburg abgesetzten Stroms und der Fernwärme liefert. Ein zweites Schlüsselereignis war die Kommunalwahl 2008, aus dem ein Schlüsselakteur des Typs Initiator:in hervorging: der neue Oberbürgermeister Georg Rosenthal (SPD). Rosenthal mass der Klimapolitik von Beginn seiner Amtszeit an eine hohe Priorität bei und stiess zahlreiche Beschlüsse, Zielsetzungen und Massnahmen in diesem Bereich an. Es gelang ihm, einen Politikwandel in Würzburg, das zuvor klimapolitisch fast gar nicht aktiv war, einzuleiten und den Klimaschutz als beständiges Thema festzusetzen. In seine Amtszeit fällt auch der Beschluss zur Erarbeitung des integrierten Klimaschutzkonzeptes und dessen Verabschiedung 2012, welches Klimaschutz als eine langfristige strategische Leitlinie für die Stadtpolitik etablierte. Des Weiteren wurden mit Umstrukturierungen in der Verwaltung und insbesondere mit der Schaffung der Stelle des Klimaschutzbeauftragten (2010) auch die institutionellen Rahmenbedingungen geschaffen, um die beschlossenen Klimaschutzziele in die Stadtpolitik und das Verwaltungshandeln zu integrieren. Da Würzburg bis zu diesem Zeitpunkt wenig aktiv war, gelang es die Themen Klimaschutz und Klimaanpassung von Beginn an integriert zu betrachten und zu bearbeiten (Interviews 1,3,33). Der Klimaschutzbeauftragte ist bis heute im Amt und konnte als Schlüsselakteur des Typs Unterstützer:in zahlreiche entscheidende Akzente im Bereich der Klimapolitik setzen.

4.4 Entwicklungspfade der Klimapolitik

Ein strategischer Politikwandel zeichnet sich primär durch aktives Handeln der verantwortlichen Akteur:innen aus Politik und Verwaltung aus. Da die entscheidenden Schlüsselakteur:innen in unseren Fallstädten proaktiv und nicht reaktiv reagierten, waren disruptive Ereignisse (z. B. Extremwetterereignisse) nicht zwingend erforderlich, um einen umfassenden institutionellen Wandel in Gang zu setzen. Zudem verfügen Städte, die einen solchen Pfad einschlagen, in der Regel über hohe Handlungskapazitäten (siehe Unterabschnitt 2.2). Im Gegensatz dazu verläuft ein inkrementeller Politikwandel deutlich langsamer, was häufig durch das Fehlen tatkräftiger Schlüsselakteur:innen und niedrige institutionelle Handlungskapazitäten bedingt ist. Während in Potsdam und Würzburg im Hinblick auf die Entwicklung der Klimapolitik ein strategischer Entwicklungspfad dominiert, ist der Remscheider Entwicklungspfad durch eine Mischform aus strategischem und inkrementellem Politikwandel gekennzeichnet.

Dass Potsdam und Würzburg mit ihren vergleichsweise hohen Handlungskapazitäten (mehr personelle und finanzielle Ressourcen) strategisch handelten, verwundert nicht, da sie auch die entsprechenden, in der Literatur beschriebenen Merkmale von Klimavorreiterstädten aufweisen. Vor allem zu nennen sind hier steigende bzw. stabile Bevölkerungszahlen, eine gute ökonomische Situation, der politische Einfluss von grünen und alternativen Parteien sowie eine starke Zivilgesellschaft (Zahran et al. Citation2008, Hörter et al. Citation2018, Kern Citation2019, Citation2020, 2021). In Potsdam und Würzburg wurden Kraftwerke von Kohle auf Gas umgestellt und die Klimapolitik schrittweise innerhalb der Stadtverwaltung institutionalisiert (z. B. Einrichtung der Koordinierungsstelle Klimaschutz in Potsdam, Ernennung eines Klimaschutzbeauftragten und Wahl eines Klimabürgermeisters in Würzburg.) Diese Entwicklungen wurden in nicht unerheblichem Masse auch von den damals verantwortlichen Oberbürgermeistern angestossen. Die Impulse der Oberbürgermeister aufgreifend haben Schlüsselakteur:innen aus der Stadtverwaltung in Potsdam und Würzburg die entstandenen Politikfenster konsequent genutzt und die städtische Klimapolitik entscheidend mitgestaltet.

Im Gegensatz dazu fehlten in Remscheid lange Zeit Schlüsselakteur:innen auf der Führungsebene sowie zentrale Schlüsselereignisse, die dem Klimathema neuen Schwung hätten geben können. Zudem trifft keines der oben genannten typischen Merkmale von Klimavorreitern (Zahran et al. Citation2008, Hörter et al. Citation2018, Kern Citation2019, Citation2020, 2021) auf Remscheid zu. Bestrebungen, die Klimapolitik dauerhaft zu institutionalisieren, wie etwa in Potsdam und Würzburg, waren nicht von Erfolg gekrönt. Zwar gelang es auch in Remscheid eine Klimaschutzmanagerin einzustellen, allerdings lediglich im Rahmen einer zeitlich befristeten Fördermassnahme des Bundesumweltministeriums. Dennoch ist es erstaunlich, dass Remscheid trotz dieser Hindernisse seine Klimapolitik deutlich engagierter und erfolgreicher betrieben hat als die meisten deutschen Städte ähnlicher Grösse (Otto et al. Citation2021). Dass in Remscheid trotz der eher ungünstigen Umstände – insbesondere im Hinblick auf die Stadtfinanzen – einige klimapolitische Erfolge erzielt werden konnten, liegt zu einem sehr grossen Teil am beständigen Handeln einzelner, gut miteinander vernetzter Schlüsselakteur:innen aus der Stadtverwaltung. Vorherige Forschungsergebnisse hatten bereits gezeigt, dass unzureichende städtische Eigenressourcen zu einem gewissen Grad durch die Teilnahme an Förderprogrammen ausgeglichen werden können und dass die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft Wandlungsprozesse unterstützten und beschleunigen kann (Stecker et al. Citation2012, Graf et al. Citation2018, Hörter et al. Citation2018, Kern Citation2020). In der Tat wurde die Remscheider Klimapolitik zu einem grossen Teil durch Drittmittel und die aktive Teilnahme an Forschungsprojekten finanziert. Die Fallstudie Remscheid und der relative Erfolg der Remscheider Klimapolitik werfen dennoch einige weitere grundsätzliche Fragen auf: Kann ein strategischer Politikwandel auch in Städten gelingen, die nicht über die günstigen Voraussetzungen einschlägiger Klimavorreiterstädte verfügen? Wo liegen Potenziale und Grenzen von weitgehend drittmittelfinanzierter städtischer Klimapolitik? Und kann eine Stadt wie Remscheid als Vorbild für andere ressourcenschwache Kommunen dienen? Zudem bedarf auch die Rolle von Wissenschaftler:innen weiterer Erforschung – zum einen bei der Informationsvermittlung, zum anderen bei der Mitgestaltung des Wandels der städtischen Klimapolitik. Unsere Fallstudien legen nahe, dass in diesem Zusammenhang vielversprechende Forschungsergebnisse insbesondere in Städten zu erwarten sind, die unter weniger günstigen Voraussetzungen Klimapolitik betreiben. Im Gegensatz dazu wurden viele der einschlägigen Vorreiterstädte in Deutschland bereits umfassend erforscht (Monstadt Citation2007, Rohracher, Späth Citation2014, Heinelt, Lamping Citation2015, Huang-Lachmann, Lovett Citation2016, Growe, Freytag Citation2020).

5. Zusammenfassung und Ausblick

Im Rahmen ausführlicher Pfadanalysen haben wir die klimapolitischen Entwicklungspfade der kleinen Grossstädte Potsdam, Remscheid und Würzburg untersucht. Hierbei unterscheiden wir drei Formen klimapolitischer Entwicklungspfade: Erstens den inkrementellen Entwicklungspfad, der durch einen langsamen institutionellen Wandel gekennzeichnet ist und insbesondere in Städten mit niedrigen Handlungskapazitäten zu beobachten ist. Zweitens den radikal/abrupten Entwicklungspfad, der vor allem nach einem disruptiven Ereignis einsetzt und dessen Erfolg primär von den Handlungskapazitäten einer Stadt abhängt. Drittens den strategischen Entwicklungspfad, der sich durch einen umfassenden institutionellen Wandel auszeichnet und der überwiegend in Städten mit hohen Handlungskapazitäten stattfindet.

Potsdam und Remscheid wurden vergleichsweise früh in der Klimapolitik aktiv, wohingegen Würzburg erst deutlich später einstieg, aber in relativ kurzer Zeit erheblich aufholen konnte. Auffällig ist, dass alle drei Städte in der Klimapolitik aktiv geworden und geblieben sind, obwohl die Auswirkungen des Klimawandels in der Vergangenheit nur bedingt spürbar waren und es bisher nicht zu ausgeprägten disruptiven Ereignissen gekommen ist. Wichtiger für die Entwicklung der Klimapolitik waren andere Schlüsselereignisse, die oft in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen (siehe Unterabschnitt 4.1). In Potsdam und Würzburg ist es gelungen, die Klimapolitik innerhalb der Stadtverwaltung schrittweise zu institutionalisieren und zu verstetigen (strategischer Entwicklungspfad). Dies gelang in Remscheid nur bedingt, insbesondere weil lange Zeit Schlüsselakteur:innen fehlten, die das Thema entscheidend hätten unterstützen und anstossen können. Die fehlende politische Unterstützung und die daraus resultierenden eingeschränkten Handlungskapazitäten konnten in Remscheid jedoch durch die kontinuierliche Arbeit einzelner Schlüsselakteur:innen aus der Stadtverwaltung zum Teil ausgeglichen werden (Mischung aus inkrementellem und strategischem Entwicklungspfad). So gelang es in Remscheid durch das erfolgreiche Einwerben von Drittmitteln und die projektbezogene Zusammenarbeit mit der Wissenschaft wichtige Grundlagen für die städtische Klimapolitik zu schaffen.

Während sich die Forschung bisher, sowohl national wie international, vordergründig auf grössere und in der Klimapolitik führende Städte konzentrierte, wurden die schon rein zahlenmässig viel signifikanteren kleineren Städte weitgehend vernachlässigt. Die vorliegende Analyse zur Klimapolitik in kleinen deutschen Grossstädten leistet einen Beitrag zur Schliessung dieser Forschungslücke. Gleichwohl braucht es weitere ausführliche Fallstudien zu Städten dieser Grössenordnung. Dies betrifft Städte, die bisher weniger aktiv in der Klimapolitik waren als beispielsweise Potsdam, aber auch Städte – wie etwa Remscheid – die selbst unter widrigen Bedingungen in der Lage waren, aktiv Klimapolitik zu betreiben. Gerade Städte letzteren Typs können als Orientierungshilfe oder gar als Modelle für andere Städte dienen, die unter vergleichbaren Bedingungen agieren (müssen).

Ausserdem stellt sich die Frage nach der Bedeutung von disruptiven Ereignissen für den institutionellen Wandel in einer Stadt. Für die Katastrophenforschung, die sich etwa auf Erbeben oder schwere Hochwasser fokussierte, konnte ein Zusammenhang zwischen disruptivem Ereignis und einem abrupten institutionellen Wandel aufgezeigt werden (Johnson et al. Citation2005, Birkland Citation2006, Yeo, Knox Citation2019). Im Rahmen unserer Studie haben wir diese Befunde auf disruptive Ereignisse übertragen, die durch den Klimawandel verstärkt auftreten (insbesondere Starkregen und Hitzewellen). Zwar hat sich unsere Vermutung bestätigt, dass disruptive Ereignisse in Städten mit höheren Handlungskapazitäten für einen Wandel nicht zwingend erforderlich sind, da dieser auch strategisch erfolgen kann (siehe Fallstudien Potsdam und Würzburg). Unsere Annahme, dass disruptive Ereignisse gerade in Städten mit eher niedrigen Handlungskapazitäten entscheidend für den Wandel sind, konnte durch unsere Fallstudie Remscheid jedoch nicht bestätigt werden. Für zukünftige Forschungsarbeiten stellt sich die generellere Frage, ob Starkregen und Hitzewellen überhaupt in die Kategorie der disruptiven Ereignisse fallen, die einen institutionellen Wandel auslösen können oder nicht.

Danksagung

Wichtige Vorarbeit zum Gelingen des Projekts und zur Erstellung dieses Artikels haben Inga Stumpp und Janne Irmisch als Wissenschaftliche Hilfskräfte geleistet. Hierfür möchten wir uns herzlich bedanken.

Additional information

Notes on contributors

Kristine Kern

Prof. Dr. Kristine Kern ist Leiterin der Forschungsgruppe «Urbane Nachhaltigkeitstransformationen» am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung, wo sie seit 2012 beschäftigt ist. Gleichzeitig war sie als Gastprofessorin an der Åbo Akademi University in Turku, Finnland (2017–2020) und als Professorin an der Universität Potsdam (2012–2016) tätig. Zuvor hat sie an der Universität Wageningen, Niederlande (2008–2012), der Södertörn University, Huddinge, Schweden (2007–2008) und der University of Minnesota, Minneapolis, USA (2005–2007) gearbeitet. Nach einer Verwaltungsausbildung und dem Studium der Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaft und Volkswirtschaft in Stuttgart, Tübingen und Berlin war Kristine Kern Postdoktorandin an der FU Berlin (1997–1999) und arbeitete danach am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (1999–2005). 2007/2008 erhielt sie den Forschungspreis des Riksbankens Jubileumsfond für einen einjährigen Forschungsaufenthalt an der Södertörn University (Schweden) und seit 2010 ist sie Docent/Associate Professor für Verwaltungswissenschaft an der Åbo Akademi University in Turku, Finnland. Seit 2013 ist sie Mitglied der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL). In den letzten Jahren konzentrierten sich ihre Forschungsinteressen vor allem auf lokale und regionale Klima- und Energiepolitik, die nachhaltige Entwicklung von Städten und Regionen und transnationale Städtenetzwerke.

Wolfgang Haupt

Dr. Wolfgang Haupt ist seit Mai 2019 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am LeibnizInstitut für Raumbezogene Sozialforschung tätig. In seiner Forschung beschäftigt er sich schwerpunktmässig mit kommunaler Klimapolitk, transntionalen Klimanetzwerken, interkommunalen Lernprozessen sowie dem Transfer und der Mobilität von lokalen Klimaschutzmassnahmen. Wolfgang Haupt studierte Geografie mit der Vertiefungsrichtung Stadt- und Regionalentwicklung an der Technischen Universität Dresden (2008–2014) und Urban Studies am Gran Sasso Science Institute L’Aquila und der Scuola Superiore Sant’Anna Pisa (2015–2019). In seiner Dissertation beschäftigte er sich mit interkommunalen Lernprozessen zwischen lokalen Entscheidungsträgern (City-toCity Learning) und wie diese von transnationalen Klimanetzwerken unterstützt werden. Wolfgang Haupt arbeitete im Frühjahr und Herbst 2017 für mehrere Monate als Gastforscher am IHE Delft Institute for Water Education in den Niederlanden. Von Oktober 2018 bis Mai 2019 arbeitete er als Dozent und Koordinator des internationalen Masterstudiengangs «City Resilience Design and Management» an der Universitat Internacional de Catalunya in Barcelona.

Stefan Niederhafner

Dr. Stefan Niederhafner ist Gründer und Geschäftsführer von Sudeco. Darüber hinaus unterrichtet er an der SciencesPo. Er ist diplomierter (FU Berlin) und promovierter (TU Darmstadt) Politikwissenschaftler, und war unter anderem fünf Jahre am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sowie mehr als vier Jahre als Assistant Professor an der Seoul National University tätig. Als Gastwissenschaftler arbeitete er unter anderem an der UC Berkeley, der KU Löwen und der Hitotsubashi University Tokyo. 2006 begann er als freier Mitarbeiter für die deutsche corporate foresight Firma z-Punkt Trendanalysen und Kurzstudien zu verfassen und ist seitdem im akademischen wie auch im Beratungsbereich tätig. Er forscht und unterrichtet seit mehr 15 Jahren im Bereich Energie- und Klimapolitik, Green Growth, Governance in komplexen Mehrebenensystemen, glokaler nachhaltiger Entwicklung und Europäischer Integration, wobei er die vorausschauende Perspektive der corporate foresight auch in seinen akademischen Arbeiten beibehält. Stefan Niederhafner ist ein erfahrener Redner, Seminarorganisator und Moderator. Er hat umfassende Erfahrung mit verschiedenen Diskussionsformaten und Präsentationsformen sowie in der Ansprache von Menschen jeglichen Alters und unterschiedlicher Kultur.

Notes

1 Teilergebnisse zu den klimapolitischen Entwicklungspfaden in Potsdam, Remscheid und Würzburg wurden bereits im Rahmen von zwei Projektberichten veröffentlicht (Thieken et al. Citation2018; Haupt und Kern Citation2020). Die Berichte waren Bestandteil des Projekts «ExTrass: Urbane Resilienz gegenüber extremen Wetterereignissen» (2018–2021), welches im Rahmen der Leitinitiative Zukunftsstadt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde.

2 Im Jahr 2019 betrug der durchschnittliche CO2-Ausstoss pro Kopf in Deutschland circa 9,7 Tonnen (https://www.umweltbundesamt.de/ daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-dereuropaeischen-union#pro-kopf-emissionen).

3 DIE aNDERE ist eine Potsdamer Wählergruppe, die seit den 1990er Jahren im Stadtrat vertreten ist und insbesondere sozial-ökologische Themen in den Vordergrund stellt.

Literatur

References