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Konsumrevolution und Verzeitlichung um 1800: Ein kommodes Feuerwerk bei Claudius und der neue Luxus der Flüchtigkeit in Goethes Wahlverwandtschaften

ABSTRACT

This essay examines firework scenes in Matthias Claudius and Goethe, reading them in the context of a historical shift in the function of popular spectacles: from the representative role of fireworks in the ancien régime, to their broad availability as commodities in modernity. Claudius portrays that cultural change vividly and as the miniaturization of luxury. In Die Wahlverwandtschaften, meanwhile, the newly domesticated art of firework displays illuminates the link between the fashionable ‘little luxury’ and modern ephemerality. Thus, the following argues that literary representations of luxury around 1800, and of fireworks in particular, are examples of an ephemeral and increasing consumer culture at the time, and reflect contemporary accelerated temporalization. Moreover, the discussion of Goethe allows us to draw a line from Die Wahlverwandtschaften to his concept of the Veloziferisches, as well as making reference to other major works (‘An Schwager Kronos’; Faust).

Luxus — verstanden als relative und immer wieder neu auszuhandelnde Kategorie des Überflusses oder Übermaßes, Verschwenderischen oder Vergeblichen — geht mit der Zeit. Für die Umbruchszeit um 1800 gilt dies in mehrfachem Sinne. Im Zuge der damaligen ‘Konsumrevolution’ zeichnet sich zum einen, wie verschiedentlich beschrieben worden ist, eine Verschiebung hin zum ‘kleinen Luxus’, eine tendenzielle Umwidmung des Luxus von Pracht und Repräsentation auf ‘Commodität’ und ‘Comfort’ ab.Footnote1 Obschon eng mit dem Ausgang aus dem Ancien Régime assoziiert, ist das gängige Etikett der ‘Verbürgerlichung’ für diesen Prozess insofern ungenau, als hierbei auch Adlige eine tragende Rolle spielten: Der Motor der Akzentverschiebung, die dynamische Öffnung des Marktes für Luxusprodukte über vormals abgeschlossene Oberschichten hinweg, verdankte sich wesentlich einem Verbund von Funktions- bzw. Kleinadel mit einer bürgerlichen Beamtenschicht und Kaufmannselite.Footnote2

Zum anderen, so die Hypothese, zeigt sich im weit gefassten Zeitraum um 1800 eine verstärkte Verzeitlichung von Luxus, d.h. eine intensivierte Veranschlagung von temporalen Dimensionen als luxuriös, die einschlägig mit dieser ‘Verkleinerung’ des Luxus zusammenhängt. In der Konsequenz kommen auch die Künste vermehrt unter dem Zeitaspekt als Luxus in den Blick. Nicht zufällig stammt der Begriff ʻLeseluxus' aus jener Epoche und bezieht sich innerhalb der Lesesucht-Debatte hauptsächlich auf die zeitliche Verausgabung von bürgerlichen Lesern und, mehr noch, Leserinnen.Footnote3

Als mindestens ebenso aufschlussreich für den Zusammenhang möchte ich eine andere Kunst jenseits des üblichen Kanons vorschlagen, an deren Thematisierung und Darstellung gerade das Medium der Literatur Luxus selbst verhandelt: die Feuerwerkerei.Footnote4 Um 1800 wird Feuerwerk — neben seiner Weiterführung im alten großen Stil öffentlicher Prunkveranstaltungen bei Hofe — zum neuen kleinen Luxus par excellence im Sinn jener Verschiebung, die generell präziser als Ausdifferenzierung zu sehen ist. Das soll im Folgenden ausgehend von der Beschreibung einer betont bürgerlichen Geburtstagsfeier mit kleinem Feuerwerk bei Matthias Claudius zunächst skizziert werden. In diesem Kontext lohnt sich dann eine Relektüre von Goethes Wahlverwandtschaften: Über das dort in wenigen Zeilen geschilderte Feuerwerk kann eine den Roman insgesamt bestimmende, spezifisch moderne Verbindung von Luxus mit Zeit unter dem Fokus von Flüchtigkeit und Beschleunigung erschlossen werden. Die ambivalente und poetologisch aufgeladene Verbindung, die sich nicht nur auf thematischer Ebene, sondern ebenso im Darstellungsverfahren äußert, ist bei Goethe mit dem ‘Veloziferischen’ assoziiert und auch in anderen Werken, namentlich Faust I, zentral, wie schließlich ein Ausblick andeutet.

***

Vom hier interessierenden historischen Wandel des Luxus erzählt beispielhaft Matthias Claudius, der zu Unrecht fast nur für lyrische Töne (ʻAbendlied', ʻDer Mensch') bekannt ist. Er tut dies in einem seiner fiktiven Briefe an Vetter Andres, die er als wiederkehrendes Zeitungsgenre des Wandsbecker Bothen kreiert und in seinem Asmus omnia sua secum portans (1775–1812) weitergeführt hat. Der festfreudige Claudius, meist knapp bei Kasse, schildert im dritten Teil des Asmus (1778) mit sprühendem Witz, wie in seiner Großfamilie eine Art Sammelfeier zu ʻfünf Geburtstägen im August 1777' (einschließlich demjenigen des nicht anwesenden Johann Gottfried Herder und seines eigenen) gegeben wurde.Footnote5 Zur mehrgängigen Mittagstafel, die in erster Linie aus sättigendem Reisbrei, erst hernach aus Butter, Kalbfleisch und zuletzt aus Kuchen bestand, blies er mangels Pauken und Trompeten ʻauf’m Triangel' (S. 170). Am Abend veranstaltete man ʻGrand Souper von Kartoffeln und Kaltenhöfer Bier' — sowie ein Feuerwerk, von dem schon den ʻganzen Tag gemunkelt' worden war und zu dem sich ʻdie ganze Gesellschaft […] in Prozession' in den Garten ʻneben dem Echafaud' (Gerüst) begab, als es endlich ʻhautement deklariert' wurde (S. 172).

Der großspurige Anhauch mit Französisch kaschiert nicht, dass es sich, passend zu Kartoffeln und Bier, um ein Feuerwerk in einem deutschen Diminutiv handelt: ʻEs bestand aus einem Petermännchen von anderthalb Zoll und reüssierte ungemein', indem es von ʻ10 Uhr 8 Minuten' bis ʻ10 Uhr 8 1/3 Minuten' brannte (S. 172). Deshalb verfällt der launige Beitrag in praktische Anleitung und liefert das Rezept für ein solches Sprengkörperchen aus Schießpulver und Wasser gleich mit. Die Zutaten muss man zu einem Teig kneten und ʻentweder kegelförmig wie ‘n Kirchturm oder viereckig wie die Pyramiden in Ägypten' formen (S. 172) — freilich alles im Miniaturformat von nicht einmal vier Zentimetern. Entsprechend klein ist die Gefahr beim Hantieren mit dem explosiven Pulver, vor dem Claudius den Vetter gleichwohl warnt (ʻsonst kannst Du Dir die Nase verbrennen' [S. 172]).

Claudius rahmt seine anekdotische Schilderung samt Gebrauchsanleitung mit der allgemeinen Thematik des Luxus. Den bodenständigen Dreigänger als Festschmaus verkauft er ironisch als Veranschaulichung dafür, wie ʻder Luxus seit Abrahams Zeit um ein Drittel gestiegen' sei (S. 171). Und die Brenndauer des großartigen Vulkänleins — zwanzig Sekunden — verteidigt er gegenüber der erwartbaren Geringschätzung des Briefadressaten engagiert, aber wiederum nicht ohne Ironie:

Du lachst Andres? Hör, das Groß und Viel tut’s nicht immer, und ich schwöre Dir, daß der Großsultan, wenn er an seinem Geburtstag ein Feuerwerk von 20000 Löwentaler abbrennen laßt, nicht vergnügter sein kann, als wir bei dem Petermännchen von anderthalb Zoll waren. Der Mensch ist gottlob so gebaut, daß er mit anderthalb Zoll recht glücklich sein kann, und wenn das die Leute nur recht wüßten, so würde’n groß Teil Ach und Weh weniger in der Welt sein. Da mischen sich aber gleich Eitelkeit und Stolz ein, und die hemmen allen Genuß, und das ist ein großes Unglück. (S. 172)

Für Claudius’ Lob solcher Genügsamkeit als bürgerlicher Tugend im Gegensatz zu Eitelkeit und Stolz, für sein Lob des familiären kleinen Luxus im Kontrast zum höfischen großen Luxus ist das Feuerwerk in jener Zeit bestens prädestiniert.

Seit den Anfängen im Gefolge der chinesischen Erfindung des Schwarzpulvers ist die Feuerwerkerei zumal als Prunkveranstaltung der Herrscher und Höfe eine besonders mit materiellem Luxus liierte Kunst.Footnote6 Dies bezieht sich nicht nur auf die immensen finanziellen Kosten, sondern auch buchstäblich auf die Unmenge an verpulvertem Material. Weniger offensichtlich, aber ebenfalls markant ist zugleich die Liaison mit Luxus in zeitlicher Hinsicht, wie sie etwa von einer Stimme aus dem 16. Jahrhundert angesprochen wird: Feuerwerk sei zwar ʻetwas Schönes', jedoch ʻzu nichts nütze'; es koste ʻviel Geld' und dauere ʻnicht länger als der Kuß der Geliebten oder vielleicht noch kürzer'.Footnote7 Unter dem Zeitaspekt luxuriös ist Feuerwerk eine speziell momenthafte, kurzlebige, flüchtige Veranstaltung. Nicht ‘nachhaltig’, wie man heute sagen würde: Bei dieser kusskurzen Unterhaltung, die den Begriff ʻZeitverkürzung'Footnote8 auf die Spitze treibt, verflüchtigt sich alles Material, alles Geld auf einen Schlag. Darin bringt das Feuerwerk — und dauere es noch so lang — eine Dimension von temporalem Luxus ins Spiel, die grundsätzlich komplementär gelagert ist zu derjenigen von ʻLeseluxus', bei dem die Verausgabung von (zu) viel Zeit im Fokus steht und der heutigen Slogans à la ʻZeit ist Luxus’ näher liegt.

Die ‘Verkleinerung’ des Luxus um 1800 vollzieht sich in der Kulturgeschichte des Feuerwerks konkret etwa als Aufkommen von pyrotechnischen Einlagen bei populären Vorführungen der Experimentalwissenschaften und als Mode sogenannter philosophischer Feuerwerke seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.Footnote9 Letztere verbinden in dieser Bezeichnung Philosophie mit Konsumkultur und werden, abseits der parallel fortgeführten großen Feuerwerksvorführungen an den Höfen, zu belehrend-unterhaltsamem Zweck vor allem in Theatersälen und öffentlich gemachten Landschaftsparks als neuen ‘Lustgärten’ gegeben. Dazu gehören pyrotechnische Imitationen von Naturspektakeln; im Gefolge der Angstlust, die der Vesuvausbruch bei den Reisenden der Grand Tour auslöst, namentlich Modelle des neapolitanischen Vulkans.Footnote10 Im Kontext der Jahrmarkts- und Festkultur werden vielerorts — in den berühmten Londoner ʻpleasure gardens' genauso wie im Englischen Park von Wörlitz — Vesuvmodelle künstlich illuminiert oder mit Feuerwerk bespielt. Viel kleiner noch ist der gezähmte Vulkan nun sogar als breit erschwinglicher Versandartikel für das Tischfeuerwerk zu Hause erhältlich (vgl. und ).Footnote11 So wird das moderne Feuerwerkchen, an dem man sich, anders als bei den gefährlichen Großveranstaltungen, nicht viel mehr als die Nase verbrennen kann, auch kommerzialisiert und privatisiert.

Abb. 1 Funken sprühen im großen alten Stil: Feuerwerk zur Hochzeit des Erbgroßherzogs Karl Friedrich und der Großfürstin Maria Paulowna in Weimar 1804 (Abb. aus Lotz, Das Feuerwerk, Tafel 15)

Abb. 1 Funken sprühen im großen alten Stil: Feuerwerk zur Hochzeit des Erbgroßherzogs Karl Friedrich und der Großfürstin Maria Paulowna in Weimar 1804 (Abb. aus Lotz, Das Feuerwerk, Tafel 15)

Abb. 2 Funken sprühen im neuen kleinen Stil: Der Vesuv als Tischfeuerwerk in einem Nürnberger Spielwarenkatalog von 1803 (Abb. aus Richter, ʻDer Vesuv von Wörlitz', S. 22).

Abb. 2 Funken sprühen im neuen kleinen Stil: Der Vesuv als Tischfeuerwerk in einem Nürnberger Spielwarenkatalog von 1803 (Abb. aus Richter, ʻDer Vesuv von Wörlitz', S. 22).

Claudius greift demnach mit dem billig gebastelten, im privaten Kreis gezündeten Petermännchen zu einem aktuell geeigneten Gegenstand, um exemplarisch den neuen kleinen gegen den herkömmlichen großen Luxus der Höfe auszuspielen. Dessen Wert beziffert er bezeichnenderweise in (Brenn-)Zeit, ohne von den Kosten zu reden — während er für das Geburtstagsfeuerwerk des ‘Großsultans' umgekehrt nur den Preis nennt (ʻ20000 Löwentaler'). Rechnet man den historischen Index ein, verschiebt sich der Fokus mit der ‘Verkleinerung’ des Luxus zum Zeitaspekt.

Am Sujet des Feuerwerks, seit je mit materiellem wie temporalem Luxus verknüpft, wird augenfällig, wie die zeitliche Dimension in den Vordergrund rücken kann, wenn die materielle Verausgabung aufgrund breiterer Erschwinglichkeit eines Luxusguts zurücktritt. Allgemeiner spekuliert: Die Konsumrevolution dürfte bei der Verzeitlichung um 1800 — der verschärften und veränderten Wahrnehmung von Zeit, wie sie im Anschluss an Reinhard Kosellecks Arbeiten für die Sattelzeit immer wieder beschrieben und bisweilen zur ʻGrundbedeutung des Begriffs “modern”' erklärt worden istFootnote12 — mitgewirkt haben. Neben anderen ‘materialistischen’ Faktoren wie der direkt assoziierten Durchsetzung der mechanischen ZeitmessungFootnote13 wäre auch die Rolle solcher ökonomischen Verschiebungen beim Verzeitlichungsschub näher zu untersuchen.

Eine kardinale Facette dieser Verzeitlichung zeigt sich nun gerade in einem neuen Faible für Flüchtigkeit als luxuriöser Zeitform. Seit dem späteren 18. Jahrhundert zeichnet sich eine gesteigerte Aufmerksamkeit für Flüchtiges vornehmlich im zeitlichen Sinn ab, die nicht in der Anknüpfung an herkömmliche (barocke) Vorstellungen von Vergänglichkeit aufgeht, sondern zugleich mit neuen Zeitkonzeptionen namentlich von Gegenwart, Momentanisierung und Plötzlichkeit verbunden ist.Footnote14 Repräsentativ hierfür ist die Einleitung von Friedrich Justin Bertuch und Georg Melchior Kraus zu ihrem Journal der Moden (1786) als einem Spiegel — und gleichzeitig Motor — der aufstrebenden Konsumkultur. In ihrem ʻfliegenden Blatte' wollen sie die ʻUnbeständigkeit der Göttin Mode' jeweils ʻzeitig genug' dokumentieren und sich so den gegenwärtig ʻfast mit dem Monde' wechselnden ʻModen' jeglicher ʻZweige von Luxus' verschreiben.Footnote15

In diesem Programm der wörtlich zu nehmenden Zeit-Schrift wird einerseits deutlich, wie die (festzuhaltende) Flüchtigkeit mit einer diagnostizierten Beschleunigung zusammenhängt, die ihrerseits als Schlüsselbegriff der neuen Zeitwahrnehmung um 1800 gilt. Andererseits knüpft die Zeitschrift, die ab 1787 Journal des Luxus und der Moden heißt, schon von Anfang an eine enge Liaison von Flüchtigkeit mit Luxus. Die Allianz ist in der Mehrzahlform ʻModen' verdichtet, indem diese die zeitliche Verwendung des Begriffs (neben der ‘materiellen’ Bedeutung als Bekleidung) im Sinn des jeweils momentanen en vogue betont.

Als Brennpunkt nicht nur der aufstrebenden Konsumkultur und ‘Verkleinerung’ des Luxus, sondern auch einer neuen Flüchtigkeit und Verzeitlichung von Luxus um 1800 bietet sich das Feuerwerk besonders an. Umso ambivalenter gewertet erscheint es in den Beschreibungen und in den Darstellungen anderer Künste, auf welche die ins Nichts verpuffende Kunst ohne Werk als behändigbares Produkt speziell angewiesen ist. Nicht zuletzt darin ist Claudius’ ironischer Unterton bei seiner Behandlung des famosen Petermännchens sprechend.

Mindestens so ambivalent beleuchtet werden diese Zusammenhänge mit einer auf den ersten Blick unscheinbaren Feuerwerkszene in Goethes Wahlverwandtschaften.

***

Das Feuerwerk der Wahlverwandtschaften geht in einem einzigen Satz in die Luft:

Raketen rauschten auf, Kanonenschläge donnerten, Leuchtkugeln stiegen, Schwärmer schlängelten und platzten, Räder gischten, jedes erst einzeln, dann gepaart, dann alle zusammen, und immer gewaltsamer hintereinander und zusammen. Eduard dessen Busen brannte, verfolgte mit lebhaft zufriedenem Blick diese feurigen Erscheinungen. Ottiliens zartem, aufgeregtem Gemüth war dieses rauschende blitzende Entstehen und Verschwinden eher ängstlich als angenehm. Sie lehnte sich schüchtern an Eduard, dem diese Annäherung, dieses Zutrauen das volle Gefühl gab, daß sie ihm ganz angehöre. (FA, VIII, 371)Footnote16

Die so lärmigen wie rasanten ʻfeurigen Erscheinungen', die ein Rezensent im Morgenblatt für gebildete Stände als zentrales ʻSymbol' des Romans interpretiert hat,Footnote17 ereignen sich gegen Ende des ersten Teils, als die Leidenschaft Eduards für Ottilie, die Nichte seiner Gattin Charlotte, vollends enflammt ist: ʻ[A]lles was in seiner Natur gebändigt war bricht los, sein ganzes Wesen strömt gegen Ottilien' (360). In diesem Moment lässt Eduard als Überraschung zu Ottilies Geburtstag insgeheim ein ʻFeuerwerk' (erstmals 366) vorbereiten und abbrennen, wie es hier zwielichtig geschildert wird.

Die flüchtige, aber intensive Szene, die in der Forschung jeweils höchstens gestreift wird, bringt Kern- bzw. Herzsujets des vertrackten Liebes-, Ehe- und Scheidungsromans um ein doppeltes Dreiecksverhältnis mit vier Beteiligten in explosive Verbindung: namentlich Luxus und Zeit.

Zuerst zum Luxus: Spätestens die überdeutliche Metaphorik von Eduards brennendem ʻBusen' lanciert dieses Feuerwerk als bewegtes Bild für die (selbst-)zerstörerische Macht der maßlosen Leidenschaft des reichen Barons: ʻEduards Neigung war aber grenzenlos. Wie er sich Ottilien zuzueignen begehrte; so kannte er auch kein Maß des Hingebens, Schenkens, Versprechens' (366). Und ebenfalls im Kontext des Feuerwerkprojekts heißt es: ʻIn Eduards Gesinnungen, wie in seinen Handlungen ist kein Maß mehr. Das Bewußtsein zu lieben und geliebt zu werden treibt ihn ins Unendliche' (360). Eduards Leidenschaft ist luxuriös in jenem Sinn überbordender erotischer Sinnlichkeit, der im Luxusbegriff um 1800 noch präsenter ist als heute. Besagter Rezensent sieht das Feuerwerk als ʻSymbol für das Geschick der Liebenden' Eduard und Ottilie im Ganzen:

[W]ie die Feuerkugel, mit brennbarem Stoffe gefüllt, wenn sie einmal in Brand geraten ist, sausend durch die Luft fährt und ihre Bahn durchstürmt und keinen Halt kennt — bis sie zerstiebt und sich vernichtet, — so fährt das Geschick mit den Liebenden dahin, da es sie ergriffen und dem Untergange geweiht hat.Footnote18

Etwas anderes betont ein Beitrag aus dem 21. Jahrhundert: Eduard ʻversinnbildlicht' seine ʻerotischen Liebeswünsche' und schießt ʻseine Lust trotzig in den Himmel hinauf'.Footnote19

Für die bildliche Lesart des Feuerwerks hat Goethe zwar viele Fährten gelegt im Roman, dessen ʻIdee' laut eigener Aussage (im Gespräch mit Friedrich Wilhelm Riemer) es sei, ʻsoziale Verhältnisse und die Konflicte derselben symbolisch gefaßt darzustellen' (FA, VIII, 978–79). Mit einem dichten internen Verweisnetz und einer schier triefend bedeutungsschwangeren Atmosphäre bringt der Text die Lesenden unablässig auf Hintergedanken. Bei der Feuerwerkszene geschieht es scheinbar bereits vor dem brennenden ʻBusen' diskreter und raffinierter, indem bezüglich der Knallkörper von ʻLusterscheinungen' die Rede ist (368). Dieses Wort ruft jedoch das noch im 19. Jahrhundert gängige Begriffsfeld von ʻLustfeuerwerk' als Gegenstück zum ʻErnstfeuerwerk' des Krieges auf.Footnote20 So sind die ʻimmer gewaltsamer' (371) aufeinander folgenden Lusterscheinungen untergründig mit dem Krieg verbunden, der im Abseits der Romanhandlung immer wieder aufblitzt (vgl. z.B. 454, 471), zumal als Eduard in selbstzerstörerischer Absicht beschließt, in den Krieg zu ziehen, um (nicht nur) ʻdie Zeit zu töten' (392). Der Begriff ʻLusterscheinungen' ist nicht bloß metaphorisch, sondern zugleich bzw. zuerst wörtlich zu verstehen. Allein schon dieses Wort rechtfertigt, trotz oder gerade wegen der bildlichen Bedeutsamkeit bei der Darstellung des Feuerwerks selbst, mehr als einen Augenblick zu verweilen.

Als luxuriöse Lustbarkeit lässt sich das Feuerwerk zu jenen Artefakten und Aktivitäten aus dem Bereich des Luxus und der Moden einreihen, der im prominent mit der Thematik von Exzess und ÜberflussFootnote21 befassten Roman — wie ich behaupten möchte — stärker noch temporal denn materiell akzentuiert ist. Für die materielle Seite steht insbesondere jener ʻköstliche[] kleine[] Koffer' voller ʻMusselin, Battist, Seide, Schawls und Spitzen' sowie ʻSchmuck', den Ottilie nach dem Feuerwerk als Geschenk von Eduard in ihrem Zimmer vorfindet und ʻso kostbar und fremd' findet, ʻdaß sie sich’s in Gedanken nicht zuzueignen' getraut (372–73). So kostbar im doppelten Sinn diese Dinge im kleinen (!) Koffer für Ottilie sind, handelt es sich indes genau um solche Luxusgüter, die mit der Konsumrevolution in immer breiteren Kreisen von Kleinadel und Bürgertum zirkulieren. Von da aus erscheint folgerichtig, dass beim Luxus der Wahlverwandtschaften Zeit eine größere Rolle spielt als Geld, obgleich beides zusammenhängt, wenn etwa ein Kredit aufgenommen werden muss, um die Umbauarbeiten an der Gutsanlage mit Blick auf Ottilies Geburtstag zu ʻbeschleunigen', d.h. (in den Augen des Hauptmanns) ʻübermäßig' voranzutreiben, wie es Eduard im Moment des Ausbruchs seiner maßlosen Leidenschaft begehrt (360). Gerade hier bezieht sich das Etikett des Übermaßes in erster Linie auf die temporale Dimension.

Mehr noch als das Köfferchen Ottilie zu viel ist, so sind es — stellvertretend für alle luxuriösen Aktivitäten im Roman und auch begrifflich parallel zu den feurigen Lusterscheinungen — die ʻLust- und Schlittenfahrten' (423), auf die Charlottes schnelllebige Tochter Luciane sie mitnehmen will. Diese Fahrten sind ganz im Sinn der Figur, die den Luxus im Roman direkt verkörpertFootnote22 und hinsichtlich der Geschlechterstereotypen in den Geschichten der Verschwendung nicht zufällig eine Frau ist: Die gefallsüchtige Luciane reist ʻ[n]icht umsonst' mit viel Gepäck an und lässt sich noch mehr nachschicken, ist sie doch ʻauf eine unendliche Abwechselung in Kleidern' aus und zieht sich täglich ʻdrei viermal' um (413–14). Und mitten im Winter lässt sie ʻso viel Grünes' zur kurzlebigen ʻtäglichen Zierde der Zimmer und des Tisches verschwenden', dass der Gärtner und die mitgärtnernde Ottilie ʻihre Hoffnungen für das nächste Jahr und vielleicht auf längere Zeit', also nachhaltig, ʻzerstört […] sehen' (423).

Im Überfluss an — ihr von Tante und Bräutigam ʻzugeflossen[em]' — ʻSchöne[m] und Köstliche[m]' ist die Luxus-Luciane aber auch überschwänglich freigiebig oder ʻ[m]ittheilend' (420), nicht geizig, wie es die zeitgenössischen Traktate gegen Luxus die Verschwenderischen gerne zeichnen.Footnote23 Sie zaudert keinen ʻAugenblick', etwa einen ʻkostbaren Schawl' charmant zu verschenken, und lässt Geld verteilen, um den ʻZustand' von Bedürftigen nicht notwendig nachhaltig, jedoch ʻwenigstens für den Augenblick zu erleichtern' (423–24). An der wichtigen Nebenfigur Luciane mit ihrem Flair für vergänglichstes Vergnügen und momenthaften Genuss im raschen Wechsel wird besonders auffällig, dass es in diesem Roman vor allem um die zeitliche Dimension von Luxus geht, und dabei, so die weitergehende These, um die neue Flüchtigkeit — nicht um Zeitverschwendung.

Man kann noch einen Schritt weiter gehen: Die flüchtige Luciane lebt Luxus, wie Goethe den Begriff vornehmlich verwendet. An einschlägiger Stelle, wo bei ihm dieser — insgesamt selten und in den Wahlverwandtschaften nie vorkommende — Begriff fällt, steht er sichtlich im Zeichen der Konsumrevolution und trägt ebenfalls den temporalen Akzent der Flüchtigkeit. In den (bis zur Weimarer Ausgabe 1896) ungedruckten, 1797 ins Tagebuch eingetragenen Bemerkungen zu ʻKunst und Handwerk' erklärt Goethe etwas rätselhaft:

Der Luxus bestehet nach meinem Begriff nicht darinnen, daß ein Reicher viele kostbare Dinge besitze, sondern daß er Dinge von der Art besitze, deren Gestalt er erst verändern muß, um sich ein augenblickliches Vergnügen und vor andern einiges Ansehen zu verschaffen. (FA, XVIII, 438)

Luxus besteht in Konsumgütern en masse, er verschafft flüchtigen Genuss, vergnügliche Augenblicke — und Sozialprestige oder ‘conspicuous consumption’, wie es gut einhundert Jahre später beim Luxustheoretiker Thorstein Veblen heißen wird.Footnote24 Der flüchtige Luxus ist hier assoziiert mit dem ʻMasse'-Erzeugnis des ʻbloß mechanische[n] Künstler[s]', d.h. eines ʻHandwerker[s] oder Fabrikanten', im Gegensatz zu Werken wirklicher Künstler von ʻewig bleibende[m] Wert' und auch zu ʻwahre[m] Reichthum', der nachhaltig ist, indem er sich ʻzeitlebens', über ʻGenerationen' oder sogar ʻJahrhunderte' genießen lässt (XVIII, 437–39). Luxus hat sich, so Goethes Zeitdiagnose, durch das neue ʻMaschinen- und Fabrikwesen' potenziert, das ʻmit schönen, zierlichen, gefälligen vergänglichen Dingen durch den Handel die ganze Welt überschwemmt' (XVIII, 439). Er denkt dabei speziell an ʻdie Engländer mit ihrer modern-antiken Topf- und Pasten-Ware' (XVIII, 439), konkret etwa an die von Josiah Wedgwood entwickelte Jasperware (vgl. Kommentar XVIII, 1236), unausgesprochen aber womöglich auch an die solchem Luxus gewidmete Zeitschrift, gehört doch das Journal des Luxus und der Moden zu den prominenten Unternehmen der Weimarer Kultur jener Zeit und bildet einen wichtigen Horizont für die ästhetische Diskussion der ‘Weimarer Klassiker’, deren Abgrenzungsbemühungen nicht zuletzt in Nähe gründen.Footnote25

Während Goethe ʻLuxus' in diesen Ausführungen als flüchtig bestimmt, wie es zugleich einer Tendenz der zeitgenössischen Diskussion entspricht, präsentiert er in den Wahlverwandtschaften gleichsam umgekehrt Flüchtigkeit als Luxus. Auch erscheint die Wertung im Roman weniger eindeutig als bei dieser zeitkritischen ʻBetrachtung', die der Autor ʻmit dem Wunsche' schließt, dass ʻsie hier und da einem Einzelnen nützlich sein möge, da das Ganze mit unaufhaltsamer Gewalt forteilt' (XVIII, 440).

Damit nun zur Zeit: Das Feuerwerk, flüchtiger noch als jenes von Luciane verschwendete Grünzeug und Kronkandidat für Luxus gemäß Steckbrief in den Überlegungen zu ʻKunst und Handwerk’, steht in den Wahlverwandtschaften im Zeichen einer doppelten Bedeutung von Zeitroman. Dieser Roman verhandelt nicht nur Geschehnisse seiner (Umbruchs-)Zeit, sondern, typisch ‘modern’, auch Zeit selbst, d.h. die Erfahrung von Zeit und deren gegenwärtige Veränderung.Footnote26 Man könnte daher im Doppelsinn von einem Wendezeitroman sprechen.

Wie sein materielles Gegenstück, der kleine Koffer, gehört das Feuerwerk zunächst zu den Zeitzeichen, mit denen der Text — ohne eine einzige Jahreszahl oder ein konkretes Datum in scheinbar zeitentrückter Szenerie — auf seine Gegenwart als Zeit der Wende(n) reflektiert. Erzählt wird namentlich vom Ausgang aus dem Ancien Régime und vom Umbruch der (Waren-)Welt im Zuge der neuen Konsumkultur, die vor allem als Kulturkonsum bzw. Kunstkonsum gegenwärtig ist.Footnote27 Dass dabei ‘Veranstaltungen’ wie die tableaux vivants eine Hauptrolle spielen,Footnote28 zeigt auch von dieser Seite, dass die Betonung mehr noch auf Praktiken in der Dimension der Zeit denn auf konsumierten Dingen liegt. Nicht allein weil sie gefallen möchte, ist Luciane bei der lebendigen Vorstellung ʻbekannte[r] Gemälde' in ihrem Element (diese ʻneue Art von Darstellung' ist ʻihrer Persönlichkeit sehr gemäß' [VIII, 427]). Zugleich fasziniert sie deren Flüchtigkeit, liebt sie doch genauso den ʻzufällige[n], flüchtige[n] Entwurf', die ʻso vergängliche' Wandtafelskizze des Architekten (416).

Auf den ersten Blick erscheint das Feuerwerk, wie die tableaux vivants eine ‘werklose’ performative Kunst bzw. Unterhaltung mit Theateraffinität, ausschließlich mit der alten Zeit verknüpft und darin der neuen Mode jener lebenden Bilder entgegengesetzt. Nicht umsonst wird es als Überbleibsel eingeführt: ʻEs war ein kleines Feuerwerk vorhanden, das man immer abzubrennen versäumt hatte' (366). Innerhalb der die Romanhandlung insgesamt prägenden Unzeitigkeit — Versäumnisse und Vorgriffe allenthalben — ist es nicht zeitgemäß im doppelten Sinn: verfehlt im situativen wie historischen Augenblick. Eduards Feuerwerk bildet den Höhepunkt in der Reihe von ʻverfehlte[n] Geburtstagen und verpatzte[n] Festen'Footnote29 der Wahlverwandtschaften. Es ist schon im Plan heikel: Weil ein Geburtstagsfest im großen, ja fürstlichen Stil im Fall von Ottilie nicht angebracht ist — ihre ʻJugend […], ihre Glücksumstände, das Verhältniß zur Familie berechtigten sie nicht als Königin eines Tages zu erscheinen' –, kommt man ʻstillschweigend in dem Vorwande überein', das Richtfest des neu gebauten ʻLusthaus[es]' auf Ottilies Geburtstag zu legen, sodass ʻman dem Volke so wie den Freunden ein Fest ankündigen' kann (365–66). Im Surplus des selbst vor den Freunden geheim gehaltenen Feuerwerkplans gipfeln Eduards Fürstengelüste, seiner Geliebten ein pompöses Geburtstagsfest zu bereiten, wie ein König seiner (künftigen) Königin in alter, aber durchaus noch präsenter Zeit. Neben Kriegstriumphen und Friedensschlüssen gehörten fürstliche Geburtstags-, Namenstags- und Hochzeitsfeierlichkeiten zu den häufigsten Anlässen für Feuerwerke.Footnote30 Das fürstliche Gelegenheitsfeuerwerk auf andere Weise konterkariert hat Claudius in seinem Asmus-Brief mit der ironischen Schilderung der kostensparenden Sammelfeier zu ʻfünf Geburtstägen' auf einen Streich.

Fürstlich-altmodisch — und nicht nur persönlich-egoistisch — erscheint auch, wie Eduard sich nicht abhalten lässt vom Startbefehl (ʻBrennt es ab!') durch den Unfall, der das Feuerwerk von Vornherein überschattet: Infolge des ʻDrängen[s] und Treten[s] der immer zunehmenden Menge' von Schaulustigen ist der Damm abgebrochen, viele rutschen ins Wasser, und ein Knabe wird zunächst ʻtodtgeglaubt[]' (369–70). Deshalb kann, in Charlottes Formulierung, ʻein Vergnügen […] in dem gegenwärtigen Augenblick nicht genossen werden', und von der Gesellschaft unter den Platanen verbleiben schließlich Eduard und Ottilie ʻallein' als Feuerwerkspublikum (370–71). Indirekt trägt das Feuerwerk eigens zum Ernst der Lage, zum falschen Moment für eine Lusterscheinung bei, weil sich infolge der Sprengkörper-Ladung des Kahns, der später beim fatalen Unfall Ottilies mit dem Kind nochmals zum Zug kommt, die Hilfe für den Knaben verzögert (vgl. 369). Es fällt hier auch materiell ins Gewicht.

Direkt folgt der Unfall — der glimpflich ausgeht, sozusagen obwohl ihn Eduard ignoriert (d.h. Eduard wird von keiner ‘poetischen Gerechtigkeit’ bestraft) — jedoch aus dem Feuerwerk als Massenveranstaltung. Historisch besonders dazu prädestiniert, ist die Feuerwerkszene in den Wahlverwandtschaften eine markante Massenszene, die ob der Viererbeziehungskonstellation des Romans leicht zu übersehen ist. Die Szene dreht sich um das buchstäbliche Überborden der ʻMasse', das die ʻpolizeilichen Einrichtungen' des Hauptmanns nicht verhindern können (366). Sie mag inspiriert gewesen sein von Unglücksfällen wie demjenigen beim Französischen Friedensfest mit Feuerwerk am 14. Juli 1801, worüber in den Zeitungen europaweit zu lesen war, beispielsweise in der (ebenfalls flüchtigem Luxus zugewandten) Bertuch’schen Zeitschrift London und Paris.Footnote31

Die Beschreibung jenes Friedensfests als neuartiges Fest zur Belustigung des ʻVolkes', als Volksfest im Kontrast zu den herkömmlichen Nationalfesten, bei denen es den ʻDirektoren und Minister[n]' vornehmlich darum gegangen sei, sich ʻin großem Putz öffentlich sehen' zu lassen,Footnote32 schärft nun aber gleichzeitig die Aufmerksamkeit dafür, dass Goethes Roman seinerseits nicht nur vom Versuch einer Veranstaltung im alten Stil handelt. Das ʻden Freunden' und ʻdem Volke' (366) gegebene Fest mit örtlicher Aufteilung der Zuschauergruppen (die ʻGesellschaft' unter den Platanen in Distanz zur ʻMasse' auf den Dämmen), die dennoch nicht zur Distinktion taugt, wenn der Veranstalter vom Unfall im ʻVolk' behelligt wird, ist zugleich ein neues Setting. Generell erzählt dieser Roman auf radikale Weise Übergang im Vollzug, in dynamischer Vermischung von Alt und Neu, anstatt Figuren und Dinge arbeitsteilig als alt- oder neumodisch gegenüberzustellen.

Ebenso ist Eduards Feuerwerk genauer besehen nicht nur Überbleibsel der alten Zeit, sondern auch auf der Höhe der Gegenwart — wie Eduard selbst nicht einfach ein Nostalgiker, sondern gleichzeitig ein Mann der neusten Mode ist (seine ʻWeste' ist ʻmodisch kurz' [363]). In präziser Parallele zum ʻkleinen Koffer' (372) für Ottilie wird es als ʻkleines Feuerwerk' (366) eingeführt und mit dem neuen kleinen Luxus assoziiert. Als ʻreiche[r] Baron' (271) gehört der aufs Feuerwerk versessene Eduard den maßgeblich konsumrevolutionären Kreisen an. Und der Ort der Szene passt in dieses Bild: Zusammen mit Reisen und Badeorten dürften Landschaftsgärten und Parks die wichtigsten Umschlagplätze der ‘Verkleinerung’ des Luxus gewesen sein.Footnote33 Übrigens mag namentlich die Parkanlage von Wörlitz mit ihrem künstlichen Vulkan auf der Felseninsel Stein — die der einstige Vesuv-Besteiger Goethe kannte und sogar in einer Zeichnung festhielt — den ʻGartenroman' Die Wahlverwandtschaften samt Feuerwerkszene inspiriert haben.Footnote34

Mit Blick auf diese Modernisierung des Luxus um 1800 erscheint das Feuerwerk in den Wahlverwandtschaften weder alt noch neu, vielmehr beides zugleich. Es wird, wie die Welt des Wendezeitromans insgesamt, gleichsam am Umbrechen vorgeführt: Es ist schon klein, aber gemäß Eduards ungehörig-fürstlichem Vorhaben, mit den ʻLusterscheinungen' Ottilie an ihrem Geburtstag zur ʻKönigin eines Tages' zu machen, noch prächtig gedacht und lässt sich vom befohlenen Kammerdiener entsprechend aufpeppen (ʻverstärken und erweitern' [366]). Es ist noch auf das große, sozial abgestufte Publikum ausgerichtet, endet jedoch als Privatvorstellung für das Liebespaar.

In den wenigen Zeilen Feuerwerk verdichten sich die Wahlverwandtschaften nicht nur zum Zeitroman eines Umbruchs vom großen zum kleinen Luxus, sondern auch zum Zeit-Roman, d.h. zum Zeitroman einer Veränderung im Zeiterleben selbst, die sich als Wahrnehmung von Flüchtigkeit und Beschleunigung äußert.

Letztere Thematik ist mittelbar präsent, indem das Feuerwerk die Sphäre der Chemie evoziert. Das Feuerwerk als genuin ‘interdisziplinäres’, künstlerisch-wissenschaftliches Unterfangen hat sich zumal in der Zeit von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert im engen Bezug auf Wissenschaft, vor allem Chemie bzw. Alchemie, entwickelt.Footnote35 Diese Sphäre, die Goethes Roman über den Titelbegriff der Wahlverwandtschaften — in der zeitgenössischen Chemie seinerseits einen ʻFeuerproceß' implizierendFootnote36 — einbringt, wird mit der Reflexion eines grundlegenden Zeitaspekts verbunden. Vielzitiert als Thematisierung einer gegenwärtigen Beschleunigung des Lebens ist jener Moment im Gespräch über die anthropologisch-chemische ʻGleichnisrede' der Wahlverwandtschaft, als Eduard mit Blick auf das Wissen der Chemie beklagt, dass ʻwir […] jetzt alle fünf Jahre umlernen' müssen, ʻwenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen' (300).Footnote37 Das zehn Jahre alte Wissen des erklärenden Hauptmanns über den chemischen Vorgang von Wahlverwandtschaften mag denn bereits passé sein.Footnote38 So liegt der Akzent hier eigentlich mehr auf einem Effekt der Beschleunigung: auf der Flüchtigkeit des Wissens.

Analog zur Überblendung von chemischem Prozess und Paarbeziehungsdynamik durch den Begriff der Wahlverwandtschaft führt der Roman über die Verfallszeit der fünf Jahre einen diskreten, aber leuchtend roten Faden von solcher Flüchtigkeit der Chemie zu derjenigen der Ehe in beschleunigter Zeit: Gegen das Ideal der lebenslänglichen Ehe, vertreten vom (unverheirateten) Mittler, stellt der männliche Part des vorerstFootnote39 illegitim zusammenlebenden glücklichen Paars Graf (verheiratet) und Baronesse (geschieden) die Idee einer Ehe als Zeitvertrag auf fünf Jahre (ʻeine schöne ungrade, heilige Zahl' [341]). Der Graf ist mit dieser, von einem Freund übernommenen Idee einer Art institutionalisierten seriellen Monogamie durchaus für die Ehe, und der Fünfjahresvertrag könnte jeweils erneuert werden. Er hält jedoch die ʻewige Dauer' der Ehe ʻzwischen so viel Beweglichem in der Welt' für eine unrealistische (Theater-)Vorstellung: übernommen aus der ʻKomödie', die den ʻAugenblick' der ʻHeirat' im Happy End verewigt (340–41). Mit der Beschleunigungsthematik korrespondierend, erhält der gräfliche Vorschlag eines temporären Ehevertrags den Anstrich des gegenwärtig Zeitgemäßen. Auch wenn Charlotte das ʻallzufreie[] Gespräch' — freilich erfolglos — ʻabzulenken' sucht, weil es für die zuhörende Ottilie ʻgefährlich[]' sein könnte (341), erscheint die Idee im Textensemble nicht disqualifiziert, sondern fraglich im wörtlichen Sinn. Sie wird weder propagiert noch kritisiert, vielmehr als Frage zur Diskussion gestellt im besonders offenen Raum dieses Gesprächsromans, der ebenso wenig verwertbare Eheberatung wie Zeitkritik betreibt.

Neben der Handlungsebene reflektiert das Darstellungsverfahren gerade bei der Feuerwerkszene diese Thematik der Zeit. Die aufzählende Beschreibung — ʻRaketen rauschten auf, Kanonenschläge donnerten, Leuchtkugeln stiegen, Schwärmer schlängelten und platzten, Räder gischten, jedes erst einzeln, dann gepaart, dann alle zusammen, und immer gewaltsamer hintereinander und zusammen' — macht in ihrer zunehmend elliptischen Reihung (von Minimal-Sätzen zu bloßen Adverbien) die Beschleunigung und das flüchtig-serielle Verpuffen der ʻfeurigen Erscheinungen' erlebbar (371). Die Möglichkeiten des literarischen Mediums auskostend, betont die Darstellung die akustische Rasanz im Kontrast zur optischen Statik von Bilddarstellungen. Und Eduard, bemerkenswert anders als im Gespräch über die ʻGleichnisrede' der Wahlverwandtschaft, genießt nun die Flüchtigkeit an solcher Erscheinungsform von Chemie: nicht als konsolidiertes (Buch-)Wissen, sondern als spektakuläre Kunst.

Dieser Genuss des Flüchtigen beschränkt sich nicht auf die Figurenperspektive, zumal des luxurierenden Eduards. Eine poetologisch verstehbare Allianz von Flüchtigkeit und Kunst, genauer: Literatur, suggeriert im Roman die Nebenbegebenheit vom Besuch jenes ʻReisenden', der in ständigem ʻWechsel' des Aufenthaltsortes lebt und von sich sagt, dass er ʻvielem entsagt, um vieles zu genießen' (468). Wenn er und sein Begleiter, zwei Engländer — also Angehörige der führenden Nation im neuen Luxus der Konsumkultur, wie es Goethe in ʻKunst und Handwerk' attestiert hat –, auf alles ʻGewohnte' verzichten, dann haben dafür nicht nur sie selbst das Vergnügen der Abwechslung. Denn der Begleiter erzählt im Kreis der Gutsgesellschaft eine der ʻvielen angenehmen und bedeutenden Anekdoten und Geschichten', womit sie sich auf der rastlosen Reise ʻbereichert haben' (470): ʻDie wunderlichen Nachbarskinder' (471–78). So präsentiert Goethe seine in den Roman eingerückte Binnen-Novelle als direkten Gewinn aus dieser luxuriös-flüchtigen Lebensweise.

Auch auf der Ebene der Erzählverfahren erhält indes der Luxus der Flüchtigkeit eine ambivalente Wertung. Weniger sympathisierend als die reisenden Engländer behandelt die Darstellung jene andere — ‘typisch weibliche’ — Verkörperung von Flüchtigkeit als Lebensart. Wo nicht ausdrücklich, erfolgt die Distanzierung über karikierende Anlehnung: Der Erzähler bezeichnet die Luxus-Luciane durch den Vergleich mit einem ʻbrennende[n] Kometenkern' als eine Art natürliches Feuerwerk und zeigt sich mutwillig übertrieben von der ʻSchnelligkeit ihres Wesens' angesteckt (412–13). Er führt sie nämlich mit einem Ein-Satz-Kürzestroman im Zeitraffer ein: ʻCharlottens Tochter, Luciane, war kaum aus der Pension in die große Welt getreten, hatte kaum in dem Hause ihrer Tante sich von zahlreicher Gesellschaft umgeben gesehen, als ihr Gefallenwollen wirklich Gefallen erregte, und ein junger, sehr reicher Mann gar bald eine heftige Neigung empfand, sie zu besitzen' (411). Aufgrund der Verbindung von ʻSchnelligkeit' und Flüchtigkeit mit Luxus wird im Kontext der Wahlverwandtschaften nicht das ausschweifende, zeitverschwenderische Erzählen, vielmehr das sparsame, ökonomische Verfahren der Raffung — ein Maximum erzählter Zeit in minimaler Erzählzeit — als luxuriös (dis-)qualifiziert.

***

Der flüchtige Moment des Feuerwerks ist kein ‘prägnanter Augenblick’ im Sinn der klassischen Ästhetik (Goethes).Footnote40 Mit Einsicht, Erfüllung oder aufblitzender Ewigkeit hat er nicht nur bei der ʻängstlichen' Ottilie, sondern auch beim ʻlebhaft zufriedenen' Eduard letztlich wenig zu tun (371), dem der Moment so auf den nächtlichen Heimweg ausstrahlt, dass ihm ʻsein Glück ohne Grenzen' scheint (372) und er, genauso ‘mittheilend’ wie die Luxus-Luciane, einen Bettler ʻreichlich beschenkt' (378), obwohl der Hauptmann das Betteln beim Festanlass hatte verbieten lassen (vgl. 366). Am nächsten Tag, als Eduard sich abzureisen gezwungen sieht, begegnet ihm der Bettler nochmals, erinnert ihn ʻschmerzlich an die glücklichste Stunde seines Lebens' und weckt ein Gefühl des Neides, weil solche Zeit flüchtiger ist als Geld: ʻO du Beneidenswerther! rief er aus: du kannst noch am gestrigen Almosen zehren, und ich nicht mehr am gestrigen Glücke!' (378).

Der Feuerwerksmoment ist weniger erfüllte Wirklichkeit denn sehnsüchtige Zukunftsbeschwörung des stets ungeduldigen oder ʻübereilten' Eduards, bei dem so oft der Wunsch Vater des Gedankens ist. Ihm wird das, was er hofft, unversehens zu dem, was er glaubt (vgl. z.B. 363, Z. 13); er vernimmt ʻnichts' als ʻwas seiner Leidenschaft schmeichelt[]' (373). Selbst den Tod des Kindes Otto sieht er, ʻohne sich’s ganz gestehen zu wollen', als wunschgemäße ʻFügung' (499). Leichtfüßig geht er den kleinen Schritt von der wunschgemäßen Interpretation zur Manipulation, von der Auslegung zur Beschwörung der Wirklichkeit. Daher beharrt er zur Unzeit nach dem Unfall am Damm auf der Zündung des Feuerwerks, das ihm nicht einfach Ausdruck seiner leidenschaftlichen Wünsche ist — vielmehr deren vermeintliche Verwirklichung. Entsprechend beredet er Ottilie, die ins Schloss zurückkehren will, zum Bleiben:

Nein, Ottilie! rief er: das Außerordentliche geschieht nicht auf glattem gewöhnlichen Wege. Dieser überraschende Vorfall von heute Abend bringt uns schneller zusammen. Du bist die meine! Ich habe dir’s schon so oft gesagt und geschworen; wir wollen es nicht mehr sagen und schwören, nun soll es werden! (371)Footnote41

Der Augenblick des Feuerwerks ist eher ein romantischer Moment in jenem Sinn gegenwärtiger ʻAufgeladenheit mit Zukunft', die ʻeiner poetischen Nötigung ähnlicher ist als einer ästhetischen Verdichtung' im prägnanten Moment und die als zentrale Zeitlichkeit um 1800 vor allem das Programm der Frühromantiker kennzeichnet.Footnote42 Namentlich bezüglich ‘An Schwager Kronos’ (1774) und Faust kann von einem verwandten ʻekstatischen Augenblick[]' bei Goethe gesprochen werden.Footnote43 Vor allem gegenüber den früheren Werken mag in den Wahlverwandtschaften die Zwielichtigkeit dieses Moments nun erhöht sein. Doch die Ambivalenz bleibt — und ist nicht unter klischierend ‘unromantischer’ Lektüre zur Aversion zu vereindeutigen.

Analoges gilt, wenn sich von der Darstellung luxuriöser Flüchtigkeit und Beschleunigung in diesem Roman eine Verbindungslinie ziehen lässt zu Goethes später erfundenem Begriff des ‘Veloziferischen’ aus der italienischen Bezeichnung für Eilkutsche (‘velocifero’) mit teuflischem Anklang (vgl. ʻBetrachtungen' in Wilhelm Meisters Wanderjahre, FA, X, 563; Brief an Karl Friedrich Reinhard, 26. Dezember 1825, WA, IV, XL, 198).Footnote44 Obschon der Begriff kritisch klingt, beschreibt Goethe das Veloziferische, die Geschwindigkeitsphänomene seiner Zeit in Bereichen wie Handel oder Presse, generell und bis zum Schluss auf charakteristische Weise ambivalent.Footnote45 Es zeichnet sich kein simpler Bruch ab zum jungen Goethe, bei dem die Geschwindigkeit als ʻSteigerung des Lebens' zu den ʻBasiskomponenten' von Selbstverständnis und Lyrik gehört.Footnote46

Die luxuriöse Flüchtigkeit des Wahlverwandtschaften-Feuerwerks, in sich seriell vervielfacht durch die Kaskade von Einzelexplosionen und gespiegelt bzw. gesteigert in der Lebensweise Lucianes, aber auch der beiden Engländer, könnte bei aller Differenz mit jener veloziferischen Getriebenheit verglichen werden, für die Goethes Faust Luzifer alias Mephistopheles per Wette einspannt.Footnote47 Folgerichtig lautet die Abmachung, dass Faust die Wette, in deren Mittelpunkt das Zeitverhältnis steht, dann verliert, wenn er sich jemals ʻberuhigt […] auf ein Faulbett' legt oder, in der berühmteren Reformulierung, wenn er ʻzum Augenblicke' sagt: ʻVerweile doch, du bist so schön!' (V. 1692 bzw. 1699–700).Footnote48

Aus der hier vorgeschlagenen Perspektive wird deutlich: Diese Wette dreht sich entscheidend um Luxus in zeitlicher Dimension, wie sie um 1800 besonders im Kontext der Konsumrevolution in den Vordergrund tritt. Und wieder geht es dabei weniger um Zeitverschwendung denn um Flüchtigkeit. Faust, der ʻvor allen der Geduld' flucht (V. 1606) und zugleich ʻMammon' verflucht, namentlich ʻ[w]enn' dieser ʻzu müßigem Ergetzen | Die Polster uns zurechtelegt' (V. 1599–602), erhält von Mephisto als Wettofferte den Luxus der Flüchtigkeit:

Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
Beliebt’s Euch, überall zu naschen,
Im Fliehen etwas zu erhaschen,
Bekomm’ Euch wohl, was Euch ergetzt. (V. 1760–763)
So verschreibt sich Faust dem totalen ʻTaumel' (V. 1766). Solcher Luxus ist mit zeitverschwenderischem Herumliegen auf dem ʻFaulbett' nicht assoziiert, vielmehr kontrastiert. Er ist keine faulenzerische Ruhepause gegenüber dem beschleunigten Leben, im Gegenteil: Luxus als Flüchtigkeit gelebter Beschleunigung. Vielleicht nicht zuletzt deshalb blitzt im Faust Feuerwerk immer wieder auf für einen spektakulären Augenblick — oder einen lärmig-stinkenden Moment von ʻSchall und Rauch' (V. 3457).

Notes on the Contributor

Christine Weder is Full Professor of Modern German Literature at the University of Geneva. She received her PhD from the University of Zurich with a dissertation on the magic of things in literature and theory around 1800 (Erschriebene Dinge. Fetisch, Amulett, Talisman um 1800 [2007]). Her habilitation thesis examined the intimate relationship between aesthetics and theories of sexuality around 1968 (Intime Beziehungen. Ästhetik und Theorien der Sexualität um 1968 [2016]). Christine Weder has been a visiting scholar and Fellow at Berlin’s Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung; at the University of California, Berkeley; and at the Auerbach Institute, Cologne.

Notes

1 Vgl. bes. Günter Oesterle, ʻDer kleine Luxus: Die poetologischen Folgen der aufklärungsspezifischen Unterscheidung von kommodem Luxus und Exzessen des Luxuriösen', in Luxus: Die Ambivalenz des Überflüssigen in der Moderne, hrsg. von Christine Weder und Maximilian Bergengruen (Göttingen: Wallstein, 2011), S. 109–23; vgl. auch die einführenden Kapitel bei Matthew Erlin, Necessary Luxuries: Books, Literature, and the Culture of Consumption in Germany, 1770–1815 (Ithaca: Cornell University Press, 2014) sowie die dort zitierte Forschung.

2 Vgl. Oesterle, ʻDer kleine Luxus', S. 110–11.

3 Johann Rudolph Gottlieb Beyer, ʻÜber das Bücherlesen, in so fern es zum Luxus unsrer Zeiten gehört', in Acta academiae electoralis moguntinae scientiarum utilium quae erfurti est, 12 (1794–95 [1796]), S. 1–34 (S. 15). Vgl. hierzu die Einleitung zu Luxus, hrsg. von Weder und Bergengruen, S. 18–19, und die Einleitung zu Auszeiten: Temporale Ökonomien des Luxus in Literatur und Kultur der Moderne, hrsg. von Christine Weder, Ruth Signer und Peter Wittemann (Berlin: De Gruyter, 2021), S. 17; zur Debatte vgl. z.B. Luisa Banki, ʻLeseluxus: Weibliche Lektüre und bürgerliche Zeitökonomie um 1800', in Auszeiten, hrsg. von Weder, Signer und Wittemann, S. 57–71.

4 Unter Weiterführung von Überlegungen in Christine Weder, ‘Ein Feuerwerk verpuffender Augenblicke: Moderne Flüchtigkeit als Luxus und Kunst (Schoen/Adorno – Goethe)’, in Auszeiten, hrsg. von Weder, Signer und Wittemann, S. 113–130.

5 Matthias Claudius, Sämtliche Werke (Düsseldorf: Artemis, 1984), S. 170–72 (S. 170). Seitennachweise im Folgenden direkt im Text.

6 Für einen historischen Überblick, freilich nicht unter dem Luxus-Aspekt, vgl. Simon Werrett, Fireworks: Pyrotechnic Arts and Sciences in European History (Chicago: University of Chicago Press, 2010), S. 14–45.

7 Vanoccio Biringuccio in De la pirotechnia (postum 1540; dt. 1925), referiert bei Arthur Lotz, Das Feuerwerk: Seine Geschichte und Bibliographie. Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte der Feste und des Theaterwesens in sieben Jahrhunderten (Leipzig: Hiersemann, 1941), S. 9.

8 Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch (Leipzig: Hirzel, 1854–1961; Quellenverzeichnis 1971), digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities <https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB#0> [abgerufen am 15. November 2021].

9 Vgl. Werret, Fireworks, S. 201–23 (zusammenfassend S. 201–02), der solche Feuerwerke als ‘commodities’ bezeichnet, mithin implizit auch in den Kontext der Konsumrevolution stellt.

10 Vgl. David McCallam, Volcanoes in Eighteenth-Century Europe: An Essay in Environmental Humanities (Liverpool: Liverpool University Press, 2019), bes. Kapitel 3.

11 Vgl. Dieter Richter, ʻDer Vesuv von Wörlitz', in Der Vulkan im Wörlitzer Park, hrsg. vom Vorstand der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz (Berlin: Nicolai, 2005), S. 21–34 (bes. S. 22–25).

12 So pointiert unter Bezug auf Koselleck, Hartmut Rosa und Lothar Gall etwa Aleida Assmann, ʻWann hört etwas auf und wann beginnt etwas Neues? Bruch und Beschleunigung an Beispielen aus Goethes Wahlverwandtschaften', in Schwellenprosa: (Re)Lektüren zu Goethes ʻWahlverwandtschaften', hrsg. von Hannah Dingeldein und anderen (München: Fink, 2018), S. 37–50 (S. 47).

13 Zu diesem Zusammenhang vgl. bes. bereits Peter Utz, ʻDas Ticken des Textes: Zur literarischen Wahrnehmung der Zeit', Schweizer Monatshefte, 70 (1990), 649–62 (S. 652).

14 Vgl. die konzise Einleitung in Flüchtigkeit der Moderne: Eigenzeiten des Ephemeren im langen 19. Jahrhundert, hrsg. von Michael Bies, Sean Franzel und Dirk Oschmann (Hannover: Wehrhahn, 2017), S. 7–16. Grundlegend zu den genannten Zeitkonzeptionen vgl. Karl Heinz Bohrer, Plötzlichkeit: Zum Augenblick des ästhetischen Scheins (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1981), sowie bes. Ingrid Oesterle, ʻ“Es ist an der Zeit!” Zur kulturellen Konstruktionsveränderung von Zeit gegen 1800', in Goethe und das Zeitalter der Romantik, hrsg. von Walter Hinderer (Würzburg: Königshausen und Neumann, 2002), S. 91–119.

15 Friedrich Justin Bertuch und Georg Melchior Kraus, [Einleitung], Journal der Moden, 1 (Januar 1786), 3–16 (S. 11–12).

16 Alle Zitate aus dem Roman im Folgenden unter einfacher Angabe der Seitenzahl nach diesem Band der — sofern nicht anders angegeben, auch durchgängig verwendeten — Frankfurter Ausgabe (FA): Johann Wolfgang von Goethe, Sämtliche Werke: Briefe, Tagebücher und Gespräche, hrsg. von Friedmar Apel und anderen, 40 Bde (Frankfurt/Main: Deutscher Klassiker Verlag, 1985–2013).

17 Rudolf Abeken in seiner anonymen Besprechung, 22.–24. Januar 1810, abgedruckt z.B. im Anhang der dtv-Ausgabe der Wahlverwandtschaften (München, 1977), S. 265–72 (S. 267).

18 Abeken, Anhang zu J. W. Goethe, Wahlverwandtschaften (München: dtv, 1977), S. 267.

19 Judith Reusch, Zeitstrukturen in Goethes Wahlverwandtschaften (Würzburg: Königshausen und Neumann, 2004), S. 71.

20 Vgl. bei Grimm oder etwa auch im Artikel ʻFeuerwerk', in Rheinisches Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände, 12 Bde (Köln: Bruère, 1837–45), iv (1838), 859–61 (S. 859: ʻLustfeuerwerkskunst' vs. ʻErnstfeuerwerkskunst').

21 Vgl. das Forschungsreferat bei Erlin, Necessary Luxuries, S. 207, und sein Kapitel zu den Wahlverwandtschaften.

22 Zu Luciane als moderner Figur des Luxus und der Mode vgl. Barbara Thums, Aufmerksamkeit: Wahrnehmung und Selbstbegründung von Brockes bis Nietzsche (München: Fink, 2008), bes. S. 376; im Kontext der zeitgenössischen Luxus-Theorien (Johann Peter Süßmilch, Johann August Schlettwein) vgl. Erlin, Necessary Luxuries, bes. S. 215; bezüglich Beschleunigung vgl. Matthew Erlin, ʻLuxus und Beschleunigung um 1800 (Lichtenberg, Goethe, E.T.A. Hoffmann)', in Auszeiten, hrsg. von Weder, Signer und Wittemann, S. 211–23 (S. 216–17).

23 Vgl. z.B., um 1800 anhaltend wirkmächtig, Johann Peter Süßmilch, Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, 3. verbesserte Ausg. (Berlin: Verlag der Buchladens der Realschule, 1765), ii, § 329.

24 Thorstein Veblen, The Theory of the Leisure Class: An Economic Study of Institutions (1899), Introduction by John Kenneth Galbraith (Boston: Mifflin, 1973), bes. Kapitel 4.

25 Vgl. dazu Daniel Purdy, ʻWeimar Classicism and the Origin of Consumer Culture', in Unwrapping Goethe’s Weimar: Essays in Cultural Studies and Local Knowledge, hrsg. von Burkhard Henke, Susanne Kord und Simon Richter (Rochester: Camden House, 2000), S. 36–57 (bes. S. 43–44, 46).

26 Zum Aspekt des ʻZeit- und Gesellschaftsromans' vgl. z.B. Reiner Wild, ʻKrisenjahre: Die Wahlverwandtschaften im Kontext der Lyrik Goethes', in Schwellenprosa, hrsg. von Dingeldein und anderen S. 73–86 (v.a. S. 74–75, 80). Zum zweiten Aspekt vgl. bes. Elisabeth von Thadden, ʻDas “ungeheure Recht” der Gegenwart: Übereilung, Mode und Verdrängung der Gegenwart als Symptome eines verfehlten Zeitbewusstseins in Goethes Wahlverwandtschaften', in Goethes ‘Wahlverwandtschaften’: Werk und Forschung, hrsg. von Helmut Hühn (Berlin: De Gruyter, 2010), S. 479–88.

27 Vgl. Erlin, Necessary Luxuries, S. 206–07.

28 Vgl. bes. Claudia Öhlschläger, ʻ“Kunstgriffe” oder Poiesis der Mortifikation – Zur Aporie des “erfüllten” Augenblicks in Goethes Wahlverwandtschaften', in Erzählen und Wissen – Paradigmen und Aporien ihrer Inszenierung in Goethes ‘Wahlverwandtschaften’, hrsg. von Gabriele Brandstetter (Freiburg/Breisgau: Rombach, 2003), S. 187–204.

29 Vgl. Michael Maurer, ʻVerfehlte Geburtstage und verpatzte Feste: Zeitkultur in den Wahlverwandtschaften’, in Goethes ‘Wahlverwandtschaften’, hrsg. von Helmut Hühn, S. 403–16 (S. 411, 415).

30 Vgl. die nach Anlässen geordnete Bild- und Textsammlung Das Buch der Feuerwerkskunst: Farbenfeuer am Himmel Asiens und Europas, hrsg. von Gereon Sievernich, unter Mitarbeit von Hendrik Budde (Nördlingen: Greno, 1987).

31 „Feste vom 14ten Juli und 1sten Vendemiaire. Parallele mit den frühern Nationalfesten. Freischauspiele. Kletterbäume oder Mats de Cocagne. Bogsprietrutscher auf der Seine. Tanzplätze. Opferprozession. Feuerwerke. Illumination der Tuillerien.“, London und Paris, 8 (1801), S. 134–55; allg. zu dieser Zeitschrift vgl. Sean Franzel: ʻ“Ephemerische Lieblinge”: The Periodical as Heterochronic Archive and F. J. Bertuch’s London und Paris', in Flüchtigkeit der Moderne, hrsg. von Bies, Franzel und Oschmann, S. 19–40 (bes. S. 29); zum Unfall und dessen publizistischer Wahrnehmung (ohne Bezug zu Goethe) vgl. Ingrid Oesterle, ʻWerther in Paris? Heinrich von Kleists Briefe über Paris', in Heinrich von Kleist: Studien zu Werk und Wirkung, hrsg. von Dirk Grathoff (Opladen: Westdeutscher Verlag, 1990), S. 97–116 (S. 105–06 und S. 108, Fn. 37).

32 „Feste vom 14ten Juli“, London und Paris, 8 (1801), S. 134–35.

33 Vgl. Oesterle, ʻDer kleine Luxus', S. 110.

34 Vgl. Ludwig Trauzettel, ʻDie Felseninsel “Stein” in den Wörlitzer Anlagen: Ideengut und gärtnerische Ausdrucksmittel', in Der Vulkan im Wörlitzer Park, hrsg. vom Vorstand der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, S. 123–35 (Zitat S. 131; Abb. von Goethes Zeichnung S. 126); Beat Wyss, ʻDer Vesuv von Wörlitz: Illuminierte Aufklärung im kleinstaatlichen Deutschland', in Die schöne Kunst der Verschwendung: Fest und Feuerwerk in der europäischen Geschichte, hrsg. von Georg Kohler (Zürich: Artemis, 1988), S. 135–42 (S. 137).

35 So die durchgängige Perspektive von Werrett, Fireworks.

36 Vgl. Joseph Vogl, Kalkül und Leidenschaft: Poetik des ökonomischen Menschen (Zürich: Diaphanes, 2002), S. 305–08.

37 Vgl. z.B. Assmann, ʻBruch und Beschleunigung an Beispielen aus Goethes Wahlverwandtschaften', S. 47–48.

38 Im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext vgl. Christoph Hoffmann, ʻ“Zeitalter der Revolutionen”: Goethes Wahlverwandtschaften im Fokus des chemischen Paradigmenwechsels, DVjs, 67 (1993), 417–50.

39 Später ergibt sich die Aussicht auf baldige Eheschließung, weil die Gemahlin des Grafen mittlerweile gestorben ist (vgl. Kapitel ii. 5).

40 Eingehend zu Goethes Konzept im Diskussionskontext vgl. Norbert Christian Wolf, ʻ“Fruchtbarer Augenblick” — “prägnanter Moment”: Zur medienspezifischen Funktion einer ästhetischen Kategorie in Aufklärung und Klassik (Lessing, Goethe)', in Prägnanter Moment: Studien zur deutschen Literatur der Aufklärung und Klassik. Festschrift für Hans-Jürgen Schings, hrsg. von Peter-André Alt und Hans-Jürgen Schings (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2002), S. 373–404.

41 In dieser Dimension besonders eng verwandt ist der Moment jenes Briefes, mit dem Eduard gegen Ende Ottilies Gegenwart beschwört (510–11).

42 Allgemein dazu vgl. im Anschluss an Bohrer bes. Oesterle, ʻ“Es ist an der Zeit!”', Zitate S. 103.

43 David Wellbery, ʻGoethes Lyrik und das frühromantische Kunstprogramm', in Goethe und das Zeitalter der Romantik, hrsg. von Hinderer S. 175–92 (S. 183).

44 Vgl. Bryan Norton, Artikel ʻVeloziferisch (Velociferian)', in The Goethe-Lexicon of Philosophical Concepts online 1.1 (2021) <https://goethe-lexicon.pitt.edu/GL/article/view/25> [abgerufen am 15. November 2021].

45 Dies betont bes. Anne Bohnenkamp, ʻZeit und Geld in Goethes Faust', DVjs, 94 (2020), 203–18 (S. 205–06). Vgl. dagegen Manfred Osten, ʻAlles veloziferisch' oder Goethes Entdeckung der Langsamkeit: Zur Modernität eines Klassikers im 21. Jahrhundert (Frankfurt/Main: Insel, 2003), der folglich in den Wahlverwandtschaften eine eindeutig negative Bewertung der Beschleunigung voraussetzt (S. 72–81).

46 David Wellbery, ʻ“Spude dich Kronos”: Zeitsemantik und poetologische Konzeption beim jungen Goethe', in Johann Wolfgang von Goethe: Lyrik und Drama. Neue Wege der Forschung, hrsg. von Bernd Hamacher und Rüdiger Nutt-Kofoth (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2007), S. 76–98 (S. 78–79).

47 Zu diesem Aspekt in Faust vgl. Osten, ʻAlles veloziferisch', zusammenfassend S. 213, und v.a. Bohnenkamp, ʻZeit und Geld'.

48 Zur Divergenz der beiden Formulierungen (und ihrer Auslegung in den Kommentaren) vgl. Bohnenkamp, ʻZeit und Geld', S. 212–13, die plausibel argumentiert, dass es für Faust selbst keine Divergenz ist bzw. nur die ambivalente Wertung des rastlosen Strebens zum Ausdruck bringt.